© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


CD: Klassik
Lyrik zum Träumen
Julia Poser

Der in Deutschland weniger bekannte Komponist Vincento Bellini wurde 1801 in Catania als Sproß einer Musikerfamilie geboren. Bereits als 17jähriger komponierte das Wunderkind erste kirchenmusikalische Werke. Der Junge war in den Salons der Aristokratie Catanias mit eigenen Arien ein gerngesehener Gast. Als Erwachsener galt er als Adonis und Liebling der Frauen. Heinrich Heine erwähnt in seinen "Reisebildern" den jungen Komponisten, den er in Paris kennengelernt hatte: "Sein Charakter war durchaus edel und gut, seine Seele gewiss rein und liebenswürdig". Bellini konnte jedoch auch mißtrauisch, neidisch und sogar übelwollend im Konkurrenzkampf mit anderen Komponisten sein, wie Briefe von ihm bezeugen. Der hochbegabte Junge erhielt ein Stipendium am Konservatorium von Neapel. Am Ende des Studiums durfte er dort seine erste kleine Oper aufführen, wodurch er einen Auftrag für eine Gala-Oper im renommierten Teatro San Carlo in Neapel erhielt. Mit "Il Pirata" an der Scala von Mailand hatte Bellini dann einen außerordentlichen Erfolg. Aber erst "La Somnabula" (Die Nachwandlerin) brachte ihm die entscheidende Anerkennung. Seine letzten großen Opern waren "Norma" in Mailand und "I Puritani" in Paris. Noch nicht 34, erkrankte Bellini und starb, von allen Bekannten verlassen, in einem einsamen Landhaus bei Paris.

In "La Somnabula" erweist sich Bellini als erster Romantiker unter den italienischen Komponisten. Als ein Meister zarter und reiner Lyrik und weitgespannter Melodienbögen schwelgt er in bis dahin unbekannter Klangsinnlichkeit. Von betörender Süße ist zum Beispiel das Duett der Liebenden im 1. Akt "Prendi, l’anel ti dono" (Nimm den Ring, den ich dir gebe): "La Somnabula" ist im schweizerischen, ländlichen Milieu angesiedelt. Amina und Elvino wollen heiraten, was der Wirtin Lisa nicht gefällt, da sie selbst ein Auge auf den reichen Elvino geworfen hat. Als Lisa die nachtwandelnde Amina schlafend im Bett des in ihrem Gasthof übernachtenden Grafen Rodolfo findet, ruft sie sogleich Elvono und das ganze Dorf herbei. Enttäuscht und verzweifelt sagt sich Elvino von der verstörten Amina los und entreißt ihr den Ring, den er ihr gegeben hat. Am nächsten Tag klärt Graf Rodolfo alle Dorfbewohner über das Wesen von Nachtwandlern auf, und Elvino erkennt Aminas Unschuld. Beglückt erneuern sie ihr Treuegelöbnis.

Die Firma ARTS hat eine hinreißende Aufnahme dieser gefühlvollen Oper herausgebracht. Mit dem großartigen Belcanto-Spezialisten William Matteuzzi als Elvino wird eine selten gewordene Stimme präsentiert. Matteuzzis weichtimbrierter, warmer Tenor, die stilistische Sicherheit des Vortrags und seine fabelhaften Spitzentöne sind einmalig. Bedauerlicherweise will sich der Sänger mehr und mehr von der Opernbühne zurückziehen, um neben Liederabenden als Lehrer in Meisterklassen zu wirken. Petteri Salomaa imponiert mit sonorem Baßbariton in der Partie des Grafen. Seine Arie "Vi ravviso, o luoghi ameni" (Ich sehe euch wieder, liebliche Orte) ist ein Paradestück für stilsicheren Gesang. Eva Lind in der Titelrolle bringt die schwierigen Arien mit süßem, mädchenhaften Ton.

Gabriele Bellini dirigiert den Koor van de Nationale Reisopra und das Orchestra of Eastern Netherland mit sicherer Hand. Er läßt Bellinis zarte Lyrik aufblühen und die romantische Stimmung sich entfalten. Eine Aufnahme, die in ihrer künstlerischen wie technischen Qualität perfekt ist.


 
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