© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Gedenken: Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Joachim Fernau
Jede Zeit hat ihre Koffer
Burkhart Berthold

Joachim Fernau ist ein Autor, dem man möglichst früh begegnen sollte. Seine rhetorische Brillanz, sein Temperament und seine Sympathie für junge Leute empfehlen ihn der Jugend. Außerdem kann man mit ihm sehr gut die Lehrer ärgern. Dem "Frühling in Florenz" stellte er das Lessing-Zitat voran: "Es ist Arznei, nicht Gift, was ich Dir reiche." Das gilt fürs Gesamtwerk. Daß es sich dabei um mitunter recht bittere Medizin handelt, soll nicht schrecken: Sie bleibt gewiß nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen, aber sie stärkt den Geist und schärft die Kritikfähigkeit. Häufig macht sie Spaß, denn Fer-nau war ein Meister der Ironie. Diese Meisterschaft trug ebenso zu seinem Erfolg bei, wie zu seinem Verdruß an diesem Erfolg: Es sieht so aus, als habe Fernau recht mannhaft all die Anwürfe ertragen, die unabhängiges Denken so mit sich bringt, aber gelobt zu werden, als wäre er der Spaßvogel der Nation, das ging ihm gegen den Strich.

Joachim Fernau war ein vielgestaltiger Autor. Am meisten Erfolg brachten ihm seine historischen Bücher. Er schrieb zunächst über die Deutschen ("Deutschland, Deutschland über alles...", 1952), dann, voller Begeisterung, über die alten Griechen ("Rosen für Apoll",1961), schließlich über die Römer ("Cäsar läßt grüßen", 1971). Später wandte er sich den USA zu: "Halleluja" (1977) wurde zu einer fulminanten Anklage, in der sich linke und rechte Amerika-Kritik zu einem Ausbruch von Abneigung und apokalyptischer Vision vereinten. Danach erholte er sich bei einem Thema, das er liebte: "Sprechen wir über Preußen. Die Geschichte der armen Leute" (1982). Seine Bewunderung gilt Friedrich dem Großen – weniger dem Schlachtensieger denn dem alten Mann, der gegen Ende seines Lebens alle Eitelkeit und jeden Ehrgeiz überwunden hatte.

Daneben stehen Romane und Erzählungen, die kaum unterschiedlicher sein könnten: 1953 schrieb er die Novelle "Hauptmann Pax". Eine Gruppe deutscher Soldaten versucht, sich aus Rußland nach Ostpreußen durchzuschlagen. Lakonisch und ungeheuer spannend schildert Fernau, wie einer nach dem anderen den Strapazen und Gefahren zum Opfer fällt. Wenn es den Kriegsroman schlechthin gäbe, wäre es "Hauptmann Pax".

Dieser harten Welt folgt 1960 der Roman "Die jungen Männer": Zwei Freunde erleben Berlin unmittelbar vor 1933, ergründen Gott und die Welt und ein wenig auch die Frauen. Fernau schöpft aus seiner Biographie und aus seinem politischen Denken, das erfrischend reaktionär ist: So leidenschaftlich er die Freiheit des einzelnen verteidigt, so kompromißlos attackiert er gleichmacherische Tendenzen einer parlamentarischen Demokratie: "Wir leben in einer Zeit, die das beständige Gerede über Freiheit zum Ersatzglück der Menschen gemacht hat. Tatsächlich ist unsere geistige Freiheit so erbärmlich wie nur noch in wenigen Epochen (…) Das Wachs für die Ohren des Odysseus wird heute jedem Bürger mit dem Stimmzettel, dem Schnuller unserer Zeit, mitgeliefert. Die Hälfte der Nation sitzt beim Schweinebraten und hat die Fensterläden geschlossen, die anderen sind, wie immer, Büttel, der Rest Trappisten (…)", so heißt es im Vorwort.

Die Verwunderung, daß ein so kluger Kopf so harte Sachen sagen konnte, wird nur noch vom Erstaunen übertroffen, daß er sie sagen durfte. Auf jeden Fall entging Fernau damit der Gefahr, jemals in Sonntagsreden zitiert zu werden oder in die Schullektüre aufgenommen zu werden. Und dabei können gerade "Die jungen Männer" jungen Männern helfen, sich in dieser Welt zurechtzufinden: Das Buch ist alles andere als ein Traktat, sondern eine spannende, auch erotisch reizvolle Erzählung mit klugen Empfehlungen zum Reis-Kochen, Zigarren-Rauchen und Erwachsen-Werden, geprägt von Menschlichkeit und Anstand.

Ganz ins humoristische Fach fällt "Ein Frühling in Florenz" (1973). In diesem Buch nimmt Fernau Urlaub von allem, was ihm das Leben schwer machte, und schreibt eine Liebesgeschichte: Voller Zuneigung zu seinen Romangestalten, witzig und lebensfroh. Daß man nebenbei viel lernt über Italien und Italienerinnen sowie über die Kunst, die Uffizien zu überleben, merkt man erst später. Diesem wunderbaren Roman am nächsten kommen "Weinsberg oder die Kunst der stachligen Liebe" (1963), in dem ein motorradfahrendes Pärchen eine romantisch-verschlafene Kleinstadt unsicher macht, und "Die treue Dakerin" (1973), eine menschenfreundliche Variation auf ein Thema des eisigen Henri de Montherlant, den Fernau sehr schätzte: Eine Leserbriefschreiberin nähert sich ihrem Großen Meister. In die Nähe zu Fontanes Gesellschaftsromanen fällt "Ein wunderbares Leben" (1975), eine Geschichte über die lebensspendende Kraft von Liebe und lllusion. Fernau lag gerade diese Erzählung am Herzen; unter der eher verhaltenden Aufnahme, die sie fand, scheint er gelitten zu haben.

Joachim Fernau beherrschte die schwere Kunst des leichten Schreibens. In einer Zeit, in der literarischer Anspruch sich nicht zuletzt in einer Abkehr von Lesbarkeit manifestiert, war er erfreulich unzeitgemäß. Fernau war ein Meister des Dialogs, der Verkürzung und des Paradoxen. Wenn der arme Teufel ein Linker gewesen wäre, hätte unsere Gesellschaft das Füllhorn ihrer Preise über ihn ausgeschüttet, und wir Rechten würden ihn dennoch lesen, denn wir ziehen allemal gute Prosa der guten Gesinnung vor. In seinen Geschichtsbüchern gelingen ihm geradezu geniale Formulierungen. Ein Beispiel aus "Rosen für Apoll" mag seinen Stil, den er "rhetorisch" nannte, zeigen: Im Jahr 594 v. Chr. hatte Solon für Athen eine Verfassung entworfen. Die Volksversammlung akzeptierte sie und versprach zugleich, sie nie zu ändern, ohne Solon vorher gefragt zu haben. Fernau schreibt, effektvoll am Schluß eines Kapitels: "Solon ging nach Hause, packte die Koffer und verließ, um nicht gefragt werden zu können, Athen. Und hier nun, meine Freunde, wollen wir uns nicht länger beherrschen, sondern gestehen, daß uns der blasse Neid packt. Nicht jede Zeit – das wissen wir – kann einen Solon haben, aber jede Zeit hat Koffer."

Von geradezu genialer Prägnanz ist seine Beschreibung des Thebaners Epaminondas: "Ein Napoleon aus Luxemburg." Sie ersetzt beliebige Mengen wissenschaftlicher Literatur – und erklärt deshalb auch, weshalb deren Verfasser ihren "unseriösen", weil witzigen Kollegen Fernau wenig schätzten.

Fernaus Herz schlägt für die Unterliegenden: Leonidas an den Thermopylen, Hannibal und Spartacus, Sulla, als er sich aus der Politik zurückzieht, und Cäsar, als die Mörder ihm gegenüberstehen. In seiner Interpretation des Nibelungenliedes ("Disteln für Hagen", 1966) bemüht er sich nach Kräften, Hagen zu verabscheuen, als aber die Saalschlacht beginnt, kann Fernau sich der Magie des Untergangs nicht entziehen. In solchen Szenen legt er alle Ironie ab, und es gelingen dichterische Momente, die der Leser nicht mehr vergißt.

Joachim Fernau starb am 24. November 1988 in Florenz. Eine Woche später wurde er in München beigesetzt. Am 11. September 1999 wäre er 90 Jahre alt geworden. Unvergessen bleibt er als wunderbarer Autor, als Kenner und mutiger Deuter der Geschichte und, nicht zuletzt: als aufrichtiger und warmherziger Beantworter von Leserbriefen.


 
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