© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Wahlen: Die PDS sorgt für eine veränderte politische Landschaft
Der etwas andere Wähler
Oliver Geldszus

Zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer steht nach den gerade über die Bühne gegangenen Landtagswahlen in Mitteldeutschland die PDS als unumstrittener Sieger dar. Was zunächst als paradox erscheinen mag, ist nichts anderes als die nüchterne Realität. Neben der CDU war es einzig die SED-Nachfolgepartei, die in Brandenburg, Thüringen und Sachsen zum Teil stark zulegen und in den letzten beiden Ländern sogar die SPD als zweitstärkste Kraft hinter der Union ablösen konnte. Die gewendeten Sozialisten profitieren dabei zunächst von Schröders Sparpaket, das der SPD – wie die Analysen zeigen – allmählich den Nimbus einer sozial engagierten Volkspartei kostet. Dagegen setzte die PDS in den Landtagswahlkämpfen der letzten Wochen erfolgreich auf das Schlagwort der "Sozialen Gerechtigkeit", mit dem sie den abgehalfterten Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern links der Mitte zusehends den Rang ablief.

Noch am sächsischen Wahlabend klagte der designierte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in Berlin, seine Partei sei zwischen einem sehr populären, aber auch populistischen Ministerpräsidenten und einer selbstbewußt auftretenden PDS geradezu zerrieben worden.

Doch es war noch schlimmer: die Sozialdemokraten sind in Sachsen im Wahlkampf nicht einmal wahrgenommen worden und erreichten mit Mühe und Not ein zweistelliges Ergebnis. Doppelt so viele Stimmen gingen an die PDS. Woche für Woche tönen nach jedem Debakel von der Saar bis nach Görlitz dieselben gebetsmühlenartig wiederholten Durchhalteparolen aus dem Willy-Brandt-Haus. Das Sparen sei notwendig, heißt es immer wieder, garniert mit dem vollmundigen Versprechen: "Wir haben verstanden!"

Doch es wäre verkürzt, die jüngsten Wahlerfolge der Union wie der Linkssozialisten einzig auf Schröders Sozialpolitik zurückzuführen, als sei der Kanzler der erfolgreichste Wahlhelfer der Christdemokraten. Daß es zum Sparen im Bund keine Alternative gibt, weiß auch sein Gegenspieler Schäuble nur zu genau. In Kürze wird ohnehin über die neuen Mehrheiten im Bundesrat eine de facto große Koalition regieren.

Das Wahlverhalten in Ost- und Mitteldeutschland ist instabiler und damit komplizierter als in Westdeutschland. Hier gibt es auch zehn Jahre nach Beendigung der kommunistischen Herrschaft keine gefestigten Parteistrukturen, so daß der von den Parteien gefürchtete Wechselwähler die politischen Verhältnisse diktiert. Das macht die Wahlen im voraus imponderabel, zugleich aber auch authentischer und geradezu "demokratischer".

Weiterhin orientiert sich das Verhalten der Wähler stark an Personen, weniger an Inhalten. Der kluge Taktiker Kurt Biedenkopf spielt bis zum heutigen Tag die Rolle des gütigen Landesvaters äußerst erfolgreich. In Fragen der Ausstrahlung und politischen Glaubwürdigkeit ist ihm im Land niemand ebenbürtig. Selbst Anhänger der SPD und der PDS erklärten im Vorfeld, daß sie bei einer Direktwahl Biedenkopf ihre Stimme geben würden. Auch der Triumph seines Amtskollegen Bernhard Vogel im benachbarten Thüringen ist maßgeblich auf seine personellen Vorzüge gegenüber seinem Kontrahenten Dewes zurückzuführen. Ebenso hat Manfred Stolpe erheblich dazu beigetragen, daß die SPD trotz aller Verluste in Brandenburg noch ein halbwegs respektables Ergebnis einfahren konnte.

Neben dem personellen Aspekt agiert der mitteldeutsche Wähler äußerst pragmatisch. Ungebunden und nicht in Parteitraditionen verwurzelt, gibt er seine Stimme wie beim Pferderennen der vermeintlich stärksten Kraft, oder er beehrt damit eine Partei, von der er sich verstanden glaubt, die ihm ein Heimatgefühl inmitten sozialer Kälte vermittelt: die PDS. Sie hat es wider Erwarten seit 1990 geschafft, nicht nur die DDR-Nostalgiker unter ihrem Dach zu vereinen, sondern sich auch das Image einer modernen Partei mit sozialer Kompetenz zu erarbeiten.

Noch immer werden die gewendeten Sozialisten zu einem Großteil von den selbsternannten "Verlierern der Einheit" gewählt. Die alten Kader stehen bei jedem Wahlgang treu und Gewehr bei Fuß an der Urne. Aber auch Jüngere sowie all jene, die mit ihrer sozialen Lage unzufrieden sind, wählen zunehmend die PDS, da sie mit sicherem politischen Instinkt erkannt haben, daß es zwischen SPD und CDU keinen nennenswerten Unterschied mehr gibt.

Nicht mehr gewählt hingegen werden im Osten die Grünen sowie die Liberalen. Die FDP ist in den neuen Ländern praktisch tot; den Grünen geht es nur unerheblich besser. Beide Parteien haben es nicht geschafft, nach der Wiedervereinigung eine entsprechende Basis aufzubauen, mit der Wahlkämpfe zu bestreiten sind. Doch beide kranken auch an ihrer eigenen ideologischen Voreingenommenheit, da hier die soziale Frage die größte politische Bedeutung hat. Wirtschaftsliberalismus und Ökologie spielen keine Rolle und werden vom Wähler so gut wie gar nicht wahrgenommen. Ein Trend, der sich auch in Westdeutschland längst abzeichnet, wo FDP und Grüne ebenso auf dem Weg ins politische Abseits sind. Östlich der Elbe geht alles nur viel schneller und unsentimentaler über die Bühne. In Zukunft wird die Ökologie immer mehr hinter dem sozialen Aspekt zurücktreten und sich letztlich unter dem Generalbegriff "Lebensqualität und Arbeitsbedingungen" in den Wertekanon sozialer Politik einordnen.

Darüber hinaus sind die grünen Protagonisten in Auftreten und Habitus den Wählern zwischen Sachsen und Vorpommern eigentümlich fremd und partiell geradezu unsympathisch. Damit vervollständigt sich das Drama der DDR-Bürgerrechtler, die schon in den siebziger Jahren bei ihren Diskussionen über den "Dritten Weg" die Nähe zum eigenen Volk vergaßen und die sich seit 1990 auf dem kontinuierlichen Weg in die Bedeutungslosigkeit befinden.

Einzig der pragmatische Teil, der den Anschluß an die SPD oder die CDU fand, wird in Zukunft noch die Chance politischer Gestaltung haben können. Dagegen haben die einstigen Kontrahenten, die Genossen von der PDS, mit Charme und Chuzpe die Volksnähe längst hergestellt und sind im Grunde bereits als regionale Volkspartei zu betrachten.

Somit wird die PDS noch auf Jahre hinaus für ein gespaltenes Bild in den deutschen Landtagen sorgen. Aber es wäre verfehlt, daraus eine Mauer in den Köpfen ableiten zu wollen; die Mär vom ewig geteilten Deutschland.

In Berlin, dem Mikrokosmos der Einheit, treffen beide Spektren aufeinander, im Osten die PDS, im Westen die durchaus noch vorhandenen Grünen. Mit Spannung dürfen die Abgeordnetenhauswahlen am 10. Oktober erwartet werden. Die Bundesregierung wird dann die nüchternen politischen Realitäten in Deutschland direkt vor ihrer Haustür zur Kenntnis zu nehmen haben. Und das ist auch gut so.


 
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