© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Literatur: Vor vierzig Jahren starb der Schriftsteller Hans Grimm
Verwurzelt in fernen und weiten Räumen
Werner Olles

Hans Grimm wurde am 22. März 1875 in Wiesbaden geboren. 13 Jahre lang lebte er als Kaufmann, Farmer und Journalist in der Kapprovinz in Südafrika und später in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia. 1914 kehrte er nach Deutschland zurück, um hier das Lippoldsberger Klosterhaus zu kaufen, das sich bis heute im Besitz der Familie befindet. Seine literarische Tätigkeit begann 1907 mit dem Bauerndrama "Die Grobbelaars". Die "Südafrikanischen Novellen" (1913) spielen ebenfalls vor afrikanischem Hintergrund, genau wie sein Tagebuch "Der Ölsucher von Duala" (1918), die Erzählung "Die Olewagen-Saga" (1918), die Novelle "Der Richter in der Karu" (1926) und "Das deutsche Südwesterbuch" (1929). In den Jahren 1928 bis 1930 erschien der zweibändige Kolonialroman "Volk ohne Raum", der Hans Grimm endgültig berühmt machte.

Der Held des Buches, Cornelius Friebott, ein nach Südafrika ausgewanderter Deutscher, nimmt dort als Mitglied der deutschen Kampftruppe am Burenkrieg teil. Nach schweren persönlichen Enttäuschungen und schmerzlichen Erfahrungen kehrt er in seine Heimat zurück, wo er durch den Steinwurf eines Arbeiters stirbt, nachdem er begonnen hat, seine politischen Überzeugungen auch öffentlich zu vertreten. Im Grunde handelt Grimms "Volk ohne Raum" von der Trauer des Autors darüber, daß die koloniale Epoche unweigerlich ihrem Ende zuging und die afrikanischen Völker für ihre Befreiung vom Joch des Kolonialismus auch Gewalt einzusetzen bereit waren.

Die Nationalsozialisten funktionierten den Titel von Grimms Buch zu ihrem bekanntesten und berüchtigsten Schlagwort um. Zwar dachten sie dabei eher an den "Lebensraum im Osten" als an koloniale Forderungen, die Emotionen, die dadurch frei wurden, nutzten sie jedoch weidlich aus.

Grimm selbst trat nie in die NSDAP ein und wurde dennoch von den Nationalsozialisten zum Senator der Dichterakademie und zum Präsidialrat der Reichsschrifttumskammer befördert. Gleichwohl bekundete der Dichter sogar öffentlich seine ablehnende Haltung gegenüber der Literaturpolitik des Dritten Reiches, stets blieb er der "altbackene und verschrobene Konservative" (Ernst Loewy), der zwar in der alldeutschen und völkischen Bewegung hochangesehen und geachtet war, jedoch nie zum politischen Pamphletisten degenerierte.

Zwar bejahte der Dichter grundsätzlich die Ideen des neuen Staates, mit den neuen Machthabern war er jedoch alles andere als zufrieden, und ihre Reglementierungen im kulturellen Bereich lehnte er aus tiefstem Herzen ab. Die "Lippoldsberger Dichtertreffen" waren den Nationalsozialisten ebenfalls ein Dorn im Auge, weil sie nicht in das starre Schema ihrer staatlichen Kulturpolitik paßten. Hierher kamen viele der bekanntesten nationalen Schriftsteller wie Rudolf G. Binding, Hans Carossa, Ernst von Salomon, Edwin Erich Dwinger, Moritz Jahn, Rudolf Alexander Schröder, Paul Alverdes, Börries von Münchhausen und Joachim von der Goltz. Grimm lud zu den Treffen jedoch auch englische Kollegen ein, eine Tatsache, die die nationalsozialistischen Kulturreglementierer noch mehr verwirrte.

Einen weniger bekannten und beliebten Schriftsteller hätte dies zumindest die Existenz gekostet, wenn nicht das Leben. Aber Grimm verteidigte ja den ursprünglichen Nationalsozialismus, der sich gegen den Verfall der europäischen Kultur und gegen die Vermassung gerichtet hatte, verabscheute den gleichmacherischen Kommunismus und war in seinem Denken immer noch der imperialistischen Gründerzeit verhaftet. So ließ er sich weder zur "Inneren Emigration" noch zu den Widerstandskämpfern gegen das Regime rechnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte Grimm zu denjenigen, die zwar niemals Nationalsozialisten waren, aber mit ihren Nachkriegsschriften wie der Autobiographie "Rückblicke" (1950) und der "Erzbischofsschrift" (1950) zu erkennen gaben, daß sie an der Unterscheidung zwischen Nationalsozialismus und Hitlerismus festhielten und vor allem eine alleinige deutsche Kriegsschuld ablehnten.

1954 publizierte Grimm "Warum, woher aber wohin?", ein zeitgeschichtliches Dokument, mit dem er für den Nationalsozialismus als Weltanschauung Partei ergriff und auch eine gewisse Form des Antisemitismus predigte. Sein Antisemitismus hatte jedoch niemals auf die Vernichtung der Juden als solche gezielt, sondern eher auf eine Seßhaftmachung des jüdischen Volkes auf "eigenem ausreichenden Boden". Die Ausrottungspolitik der Nationalsozialisten gegenüber den Juden hatte Grimm immer verurteilt und sie als das "schlechthin Böse" dieser Jahre bezeichnet.

Hans Grimm starb im Alter von 84 Jahren am 27. September 1959 in Lippoldsberg im Landkreis Hofgeismar. Wenige Jahre später übernahm seine Tochter Holle die Organisation der Dichtertage, die der Vater 1949 unter dem Titel "Dörfliche-Goethe-Feier" wieder ins Leben gerufen hatte. Was von Hans Grimm bleiben wird, ist die 35bändige Gesamtausgabe seiner Werke, die im Klosterhaus-Verlag erschienen ist.

Auch heute noch beschäftigen sich zahlreiche Literaturwissenschaftler mit seinen Novellen und Romanen und entdecken dabei nur allzuoft einen großen Erzähler, dessen nationalistischer Ansatz zwar als konsequentes Resultat einer politischen Grundhaltung zu werten ist, dem aber selbst ein Gegner wie Kurt Tucholsky "Echtheit der Gesinnung" attestierte und ihn "einen guten, einen achtbaren nationalen Schriftsteller" und "durchaus ehrlichen Mann" nannte.

Hans Grimm, dieser in allen Systemen oppositionell denkende Autor, ließ noch in seinem letzten Buch, der Autobiographie "Suchen und hoffen" (1960) etwas von jener Weltläufigkeit ahnen, "die nicht allein in geistigen Ambitionen ihren Ursprung suchte, sondern in einer wirklichen Verwurzelung in fernen und weiten Räumen" (Ernst von Salomon). In diesem Sinne ist Grimm sich selbst und seinen großen schriftstellerischen Fähigkeiten immer treu geblieben.


 
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