© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Überbevölkerung
von Mario Candeias

Die Weltbevölkerung wächst weiter. Die sechste Milliarde ist erreicht. Unter den zwanzig volkreichsten Staaten werden dann noch zwei europäische sein: die Russische Föderation und die Türkei. Zur reichen "Ersten" Welt gehören nur die USA und Japan.

Es wachsen die armen Gesellschaften. Das ist das Problem. Auch Seuchen, Hunger und Krieg können dem nicht Einhalt gebieten. Die Stabilisierung der Bevölkerungszahlen in den reichen Ländern ist durch Wohlstand, Bildung, Sozial- und Gesundheitspolitik erreicht worden. Welt-Bevölkerungspolitik muß da ansetzen. Die UN versucht sich daran. Sie scheitert an der Frage, wer das finanziert, an den Auswirkungen der Globalisierung, die immer mehr Wohlstand erzeugt, ihn aber immer mehr Menschen vorenthält und gleichzeitig den ärmeren Gesellschaften jede Existenzgrundlage raubt. Solange aber statt einer sozialen Sicherung nur eine hohe Kinderzahl einen relativen Schutz vor Krankheit und Alter bietet, solange wird die Überbevölkerung wachsen.

Nun läßt sich das westliche Wohlfahrtsmodell nicht auf die Entwicklungsländer übertragen. Schon aus ökologischen Gründen. Denn eine Globalisierung unseres Entwicklungsmodells würde die Erde dem sofortigen Infarkt aussetzen. Allein die Automobilisierung Chinas auf dem Niveau Westeuropas würde das ökologische System kollabieren lassen. Den Entwicklungsländern aus ökologischen Gründen ihre Entwicklung zu verwehren, hieße aber sie Tod und Verzweiflung auszusetzen und würde aller Wahrscheinlichkeit nach Kriege und Flüchtlingsströme nach sich ziehen, die gerade unsere Wohlstandsgesellschaften träfen. Die Konsequenz hieße also, wir im Westen müssen uns beschränken, damit andere wachsen können. Wir brauchen ein nachhaltiges, ökologisches Entwicklungsmodell, das gleichzeitig sozial ist. Das wird nicht ohne Verzicht funktionieren, Verzicht auf materiellen Konsum immer neuer und immer mehr Güter. Technologische Neuerungen können helfen, aber das Problem nicht lösen. Solange die Logik der Kapitalverwertung und Profitmaximierung nicht wenigstens teilweise durchbrochen wird, braucht unser Wirtschaftssystem unter Strafe des Untergangs größtmögliches Wachstum. Wachstum aber – auch bei Anwendung umweltschonender Technologien – bedeutet wachsenden Verbrauch von Umweltressourcen. Verzicht aber verschärft die ohnehin zunehmenden sozialen Konflikte. Wer muß verzichten, sparen? Unter den gegenwärtigen Bedingungen wohl doch wieder die Ärmsten der Weltgesellschaft im Westen, wie im Osten und Süden, die ohnehin nichts zu sparen haben. Auf diese Weise werden wir keines der drängenden Probleme lösen, auch nicht das einer vermeintlichen Überbevölkerung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen