© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Pervertierung
von Michael Wiesberg

Kritiker der derzeit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängigen Klage der Bundesländer Hessen, Bayern und Baden-Württemberg gegen den Finanzausgleich behaupten immer wieder, daß die Klage der Versuch der "schwarz" regierten Bundesländer sei, aus der Solidarität des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auszubrechen. Dem widerspricht Erwin Teufel (CDU), Ministerpräsident von Baden-Wärttemberg, mit aller Vehemenz und zu Recht. Seiner Auffassung nach haben die Milliardenbeträge, die bisher in den Finanzausgleich geflossen sind, keineswegs zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition der Empfängerländer geführt. Eher sei das Gegenteil der Fall: Diese hätten den Ausgleich nicht als Sprungbrett zur Selbsthilfe begriffen, sondern als Sofa.

Bis zur Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleiches im Jahre 1969 hatten weder Bund noch Länder in nennenswertem Umfang Schulden. Diejenigen Länder, deren Steuereinnahmen im Vergleich geringer waren, gaben eben weniger aus. Seit 1969 stellen der horizontale Finanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen sicher, daß zwischen reichen und armen Ländern kaum noch Unterschiede in den Steuereinnahmen bestehen. Diese Entwicklung wurde 1993 im Rahmen des Solidarpaktes noch weiter forciert, als die mitteldeutschen Länder in den Finanzausgleich einbezogen wurden. Die Folge: Nehmerländer wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen u.a. haben inzwischen nach dem Finanzausgleich höhere Steuereinnahmen pro Kopf als die klageführenden Bundesländer. Dazu kommt, daß die Nehmerländer seit 1969 trotz höherer Steuereinnahmen via Finanzausgleich mehr Schulden gemacht haben als die Geberländer. Das Ergebnis: Die Nehmerländer haben durchweg höhere Nettoausgaben pro Einwohner als die Geberländer sowie Jahr für Jahr eine höhere Nettoneuverschuldung. Diese Entwicklung liegt auch in der Dynamik des Finanzausgleiches begründet: Zu Recht monieren die Geberländer, daß es sich fiskalisch gesehen nicht rechne, wenn ein Bundesland über eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik seine Wirtschaftskraft erhöhe. Die Umverteilung nivelliere nämlich die Unterschiede zwischen erfolgreichen und inkompetenten Landesregierungen.

Eine Rückkehr zum Prinzip, daß jedes Bundesland weitgehend selbst die Verantwortung für die Ergebnisse seiner Haushaltspolitik zu übernehmen hat, scheint unausweichlich. Die Abkehr von diesem Prinzip hat in den letzten drei Jahrzehnten dazu geführt, daß die Empfängerländer eine Finanzpolitik betrieben, die mit ihren langfristigen Möglichkeiten nicht in Deckung zu bringen war. Der gegenwärtige Länderfinanzausgleich stellt somit eine Pervertierung des Förderalismus dar.


 
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