© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Kino: Jake Scott legt mit "Plunkett & Macleane" sein Regiedebüt vor
Zwischen Techno und Barock
Claus-M. Wolfschlag

In Räuberklamotten wird zumeist eine verdrehte Ethik propagiert. Gewalt und die Mißachtung des Eigentums Fremder werden beschönigt, den Wohlhabenden unverhohlener Sozialneid entgegengebracht und die Autorität der Staatsmacht pauschal in Frage gestellt. Die Räuber, die wild mit Pistolen oder Pfeil und Bogen fuchteln, werden als Idole dargereicht. Die gutsituierten Opfer erscheinen meist als abstoßende Kreaturen, denen es eher guttun müßte, ein wenig ihres gehorteten Reichtums abzugeben. Und ganz übel sind die Gesetzeshüter – lauter düstere Sheriffs von Nottingham mit ihren Folterknechten im Schlepptau.

All dies ist auch bei "Plunkett & Macleane" nicht grundlegend anders, und dennoch wird es derart charmant und filmkünstlerisch grandios präsentiert, daß sich selbst der Rezensent vor einer derartigen Räuberklamotte verneigen muß.

Im England Mitte des 18. Jahrhunderts trifft der heruntergekommene Unterschichtsgauner Will Plunkett (Robert Carlyle) auf den verarmten jungen Adeligen James Macleane (Jonny Lee Miller). Gemeinsam beschließen sie, die verhaßte hohe Gesellschaft finanziell etwas auszunehmen. Der lebensgewandte Macleane soll sich dazu in die adeligen Kreise einschmeicheln, um an die nötigen Informationen zu kommen, die es den beiden ermöglichen, diverse Kutschen zu überfallen. Doch als die beiden eines Nachts das Gefährt von Lord Gibson (Michael Gambon) bestürmen, verliebt sich Macleane schnell in dessen bezaubernde Nichte Rebecca (Liv Tyler). Verfolgt vom eiskalten, intriganten Oberinspektor Chance (Ken Scott) versuchen die drei schließlich nach Amerika zu fliehen. Wofür dieser Begriff steht – als Hoffnung, als Land der Freiheit und Chancengleichheit oder als Hort von Gaunern und Tagedieben –, bleibt allerdings offen. Man sieht nicht, was aus den Helden in der "Neuen Welt" wird.

"Plunkett & Macleane" präsentiert sich statt dessen als überspitzte Groteske auf die dekadente europäische Gesellschaft der Rokoko-Epoche. Drastische Klassenunterschiede zwischen einer verkommenen Aristokratie, der man aber einen gewissen skurrilen Charme nicht absprechen kann, und einer im Dreck darbenden Unterschicht werden noch extremer veranschaulicht, indem auf die Darstellung einer Mittelschicht fast gänzlich verzichtet wurde. Der Sreifen ist aber auch eine Satire auf die moderne Vergnügungsgesellschaft. Die gelangweilten, überreizten Adeligen, die von Party zu Party eilen, die kichernden, gepiercten gay-boys, die fickrigen alternden Damen, die Modetrends und die durchaus stimmige Einspielung von Techno-Musik in einer barocken Ballszene deuten offensichtlich darauf hin, daß es in der Geschichte auch nicht so sehr anders als in der Gegenwart gewesen sein könnte.

Grandios, neben der spritzigen schauspielerischen Leistung der Haupt- und Nebendarsteller, erscheinen auch die Kameraeinstellungen und -fahrten, die eine ungemeine Intensität von Stimmung zu erzeugen in der Lage sind. Frosch- und Vogelperspektiven und sorgsam inszenierte Großaufnahmen stehen im ständigen Wechselspiel zueinander. Sofort fühlt man sich an moderne Werbespots oder Videoclips erinnert, die in sehr kurzer Zeit eine hohe bildliche Gefühlskraft herstellen müssen. Die Ahnung trügt nicht. Der 33jährige Regisseur Jake Scott, Sohn von Ridley Scott und Neffe von Tony Scott, ist in der Vergangenheit mit der Produktion von Werbe- und Musikvideostreifen in Erscheinung getreten. So ist zu hoffen, daß "Plunkett & Macleane" nicht der letzte Film des begabten Künstlers bleiben wird.


 
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