© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Österreich-Report: Handy, Designerdrogen und Piercing sind unter Jugendlichen der letzte Schrei
Gelebter Hedonismus
Holger Stürenburg

Kurz vor den Nationalratswahlen finden die österreichischen Parteien es ratsam, sich mit den Interessen und Gedanken der jungen Generation auseinanderzusetzen. Manche scheinen bei ihrem Blick in Richtung des jugendlichen Zeitgeistpublikums ihre angestammte, erwachsene, "ach Gott, wie spießige" und altmodische Klientel zu vergessen . Das diesjährige Sommerloch sollte nicht nur mit des Kanzlers "Klima-Anlage" und deren offenbar seltener Nutzung durch die österreichische Bevölkerung oder das aktuelle "Hitler-Revival" der Kärntner Volkspartei gefüllt werden. Deshalb veröffentlichte das Linzer "Market-Institut" eine aktuelle Studie, für die Jugendliche und junge Erwachsene befragt wurden, was sie alles cool finden.

Natürlich ist der Begriff cool nicht einmal real definiert und ändert sich von Dekade zu Dekade. Galten etwa in den siebziger Videorecorder, Friteusen und die Popklänge eines David Bowie als cool, so waren in den Achtzigern der Film "Zurück in die Zukunft", der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff, der Musiker Bryan Ferry und seine Band Roxy Musik bzw. das richtige Deospray die Zeichen für coolness schlechthin. Heutzutage ist nahezu alles cool: Jede Banalität wird von Jugendlichen bzw. vor allem ihren Medien und Exponenten als cool deklariert. Alle zwei, drei Monate ist etwas vollkommen anderes cool – und die supercoole Nachricht des Vormonats bereits ewiggestrig und spießig.

Laut "Market" sind für 15- bis 29jährige in Österreich vor allem "Handy", "Internet" und Markenkleidung der Inbegriff der coolness. Nahezu 93 Prozent sehen im Besitze des Protzophons ihren eigenen Status als cool. Auch fast alle Erwachsenen ab 30 Jahre denken, daß das Handy für die Jugend der Sinn des Lebens ist. Die Markenkleidung wird von drei Vierteln aller österreichischen Jugendlichen für cool befunden. Bei uns in Deutschand – wir sind in Fragen der Dekadenz und des Zeitgeistes immer ganz vorne dabei – ist es schon seit einiger Zeit so, daß Schüler der sechsten und siebten Klasse ausgegrenzt werden, falls sie nicht mit den gerade angesagten (und 14tägig wechselnden) Marken ihren Körper verschönern. Wenn einmal ein konservativer Politiker die Einführung von Schuluniformen fordert, um gegen diesen Äußerlichkeitsfetischismus ein Zeichen zu setzen, so folgt dem umgehend die PC-Keule, der Vergleich mit der Hitler-Jugend.

"Schnelle Autos", "Fitneßstudios" und "Musik machen in einer Band" sind die folgenden Werte der coolness. Und diese sind eigentlich recht traditionell. Was heißt nur "Musik machen in einer Band"? Klassische Rock- und Popbands mit klassischer Besetzung (Gitarre, Baß, Schlagzeug, Piano) sind doch eigentlich so etwas von uncool, wenn man sich die österreichischen Top 40 einmal anschaut, in denen brustvergrößerte Teeniequeens, schnieke Boygruppen und Techno-Schicksen durch die Gegend hüpfen – ohne jemals in ihrem Leben nur ein Instrument angefaßt zu haben.

Unschön ist es, wenn fast 50 Prozent der österreichischen Jugendlichen "Haschisch rauchen" und "Designer-Drogen nehmen" für cool halten. Politische Parteien tauchen erst im letzten Drittel der Top 26 der coolness auf: Die Grünen zu wählen finden 21 Prozent der Jungs und Mädchen cool – und dies, obgleich deren Vorsitzender, der Herr Professor Alexander von der Bellen doch eigentlich aussieht wie ein ältlicher weltfremder Intellektueller. Interessant ist, daß 17 Prozent der "Kids" FPÖ-Wählen cool finden. Dies dürfte den Yuppie-Flügel der Partei sehr erfreuen und könnte vielleicht bedeuten: In Zukunft noch mehr erfolgsverwöhnte Strahlemännern an vorderster Front, noch schniekere Anzüge für Jörg Haider, aber weniger knallhartes Programm.

"Liberal wählen" finden elf Prozent der Jugendlichen cool. Klar, liberal war immer schon cool, auch in der BRD: Dies vor allem in den achtziger Jahren, als unsere Liberalen noch über so witzige Leute wie Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher oder Martin "Telefon" Bangemann verfügten. Heute mag in Österreich Thomas Barmüller vom Liberalen Forum (LiF) zwar aussehen wie ein Austria-Backstreet-Boy, aber programatisch...

Wer natürlich "Handy haben", "Designer-Drogen nehmen" und "Zungenpiercing" für cool hält, dürfte sich auch von Heide Schmidts gelebtem Hedonismus angesprochen fühlen. Ob dies zukunftsträchtig ist, steht auf einem anderen Blatt.

Peinlich hingegen wird es für die regierende Große Koalition. Gerade mal drei Prozent halten das Wahlkreuz für die SPÖ für cool – und zuletzt kommt der Schock für Vizekanzler Wolfgang Schüssel und seine Freunde: Die täglich wechselnden, bunten Mascherln des Bundesobmannes und seine langsam Elton John-mäßige Ausmaße annehmende Brillenkollektion haben nichts genutzt. Null – ich wiederhole: null Prozent der 15- bis 29jährigen Österreicher finden es laut "Market" cool, die ÖVP zu wählen!

"Altmodische", traditionelle Werte und Interessen wie "Bücher lesen", "gute Umgangsformen", "Kirche", "Heiraten" oder "Politisch aktiv sein" sind für kaum mehr als fünf bis zehn Prozent der nachwachsenden Österreicher interessant.


 
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