© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Finanzen: Schröders Sparpaket auf tönernen Füßen
Der große Bluff
Folkmar Koenigs

Mit dem 30-Milliarden-Sparpaket erwecken Bundesfinanzminister Eichel und die Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck, der Bund werde tatsächlich seine Ausgaben um 30 Milliarden Mark verringern. Bei näherer Prüfung erweist sich das Sparpaket als grobe Irreführung. Der Bundeshaushalt 1998 betrug 456,8 Milliarden Mark; unter Finanzminister Lafontaine und der rot-grünen Regierung stieg er 1999 statt auf 465,3 Milliarden, wie im mittelfristigen Finanzplan 1998–2002 der Kohl-Regierung vorgesehen, auf 485,7, also 20,4 Milliarden Mark mehr. Im Jahre 2000 soll nach der Vorlage der Bundesregierung der Bundeshaushalt 478,2 Milliarden betragen, also nicht 30, sondern nur 7,5 Milliarden Mark weniger.

Das 30-Milliarden-Sparpaket enthält Kürzungen des Haushalts der einzelnen Ressorts gegenüber dem Haushalt 1999 um 11.005 Milliarden Mark, davon über fünf Milliarden aber als eine noch nicht auf die einzelnen Ausgabensätze der Ressorts umgelegte "globale Minderausgabe", 2,059 Milliarden Mark weniger Zinsen für die Bundesschuld sowie künftige geringere Ausgaben des Bundes von 3,8 Milliarden geringerer Zuschuß zur Rentenversicherung dadurch, daß die Renten in den Jahren 2000 und 2001 nur entsprechend der Inflationsrate (prognostizierter Jahresdurchschnitt) um 0,7 bzw. 1,6 Prozent steigen sollen; um 4,2 Milliarden durch Berechnung der Beiträge des Bundes zur Rentenversicherung für Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht mehr nach 80 Prozent des letzten Bruttoeinkommens, sondern nach dem Arbeitslosengeld; um eine Milliarde durch Streichung der bisher vom Bund getragenen originären Arbeitslosenhilfe für Soldaten und Referendare; um 608 Millionen durch Kürzung des Zuschusses zur Renten-, Kranken- und Unfallversicherung der Landwirte; um 2,5 Milliarden durch Streichung des Bundesanteils am Wohngeld für Sozialhilfeempfänger; um 400 Millionen durch Streichung des Bundesanteils am Unterhaltsvorschuß für Frauen, wenn der Unterhaltspflichtige nicht zahlt; ferner durch Erhöhung der Bezüge der Beamten nur um die Inflationsrate und durch einen entsprechenden Tarifabschluß für die Angestellten und Arbeiter.

Von den so ersparten Ausgaben des Bundes gehen also 3,8 Milliarden zu Lasten der Empfänger von Altersrenten, 4,8 Milliarden zu Lasten der Rentenversicherung und Versicherungen der Landwirte und mindestens drei Milliarden bei Wohngeld, Unterhaltszuschuß und originärer Arbeitslosenhilfe zu Lasten der Länder und Gemeinden.

Daß die im Sparpaket vorgesehenen Ersparnisse tatsächlich erreicht werden, ist mehr als zweifelhaft. Es bleibt abzuwarten, ob eine Erhöhung der Renten in den Jahren 2000 und 2001 nur entsprechend der Inflationsrate politisch durchzusetzen ist; nach der bisherigen Rentenformel würde sich bereits für das Jahr 2000 eine Erhöhung von etwa drei Prozent statt der beabsichtigten 0,7 Prozent ergeben. Selbst wenn eine Anpassung nur entsprechend der Inflationsrate gelingen sollte, ist ungewiß, ob die Inflationsrate in diesen Jahren nicht tatsächlich höher als 0,7 bzw. 1,6 Prozent sein wird; gegenwärtig beträgt sie bereits 0,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat mit seit Jahresbeginn steigender Tendenz. Daß die ÖTV sich für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst nur mit einer Erhöhung um die Inflationsrate begnügen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Dann kann man die Beamten aber nicht wesentlich schlechter behandeln. Auch die Länder werden mit einer Verlagerung der Ausgaben nur einverstanden sein, wenn sie einen Ausgleich erhalten, zum Beispiel durch eine erhöhte Erbschaftssteuer. Der vorgesehene Ausgleich durch Erhöhung der Bezüge im öffentlichen Dienst nur um die Inflationsrate reicht weder aus, noch ist eine so geringe Erhöhung zu erwarten.

Eine "globale Minderausgabe" von mehr als fünf Milliarden, davon allein 2,5 Milliarden im Haushalt des Arbeitsministers und 2,2 Milliarden im durch wiederholte Kürzungen ohnehin zu geringen Haushalt des Verteidigungsministers, entspricht nicht einem ordnungsgemäßen Haushalt, ihre Realisierung ist zu bezweifeln. Der Ansatz für die Zinsen der 1,5 Billionen Mark Schulden des Bundes reicht nur aus, wenn die Zinsen am Kapitalmarkt auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau verharren, was ungewiß und nicht sehr wahrscheinlich ist. Eine Zinserhöhung um ein Prozent führt aber zu 2,5 Milliarden Mehrausgaben. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Entlastung der Familien wird erst teilweise durch einen Kinderbetreuungsbetrag von 3.034 Mark umgesetzt.

Ein besonders eklatanter Widerspruch ist es, wenn einerseits die Notwendigkeit eigener Vorsorge für das Alter betont wird und die Bürger zu entsprechendem Verhalten aufgefordert werden, aber andererseits der Sparfreibetrag von 6.000/12.000 Mark halbiert wird, der Ertragsanteil der Lebensversicherungen besteuert wird und eine Erhöhung der seit Jahren unveränderten abzugsfähigen Sonderausgaben-Freibeträge für die Altersvorsorge unterbleibt.

 

Prof. Dr. Folkmar Koenigs lehrt Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin. In der JF schrieb er zuletzt auf dem Forum (11/99) über den Zusammenhang zwischen Tarifabschlüssen und Arbeitslosigkeit.


 
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