© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Deutsche Einheit II: Das ehemalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski bei der Frankfurter CDU
Sein Scheitern brachte ihn zum Nachdenken
Werner Norden

Nachdem der Stadtbezirksverband Fechenheim der Frankfurter CDU auf Vorschlag seines Vorstandsmitglieds Wolfgang Bodenstedt den frühereren SED-Spitzenpolitiker Günter Schabowski als Hauptredner zu einer Feierstunde zum Tag der deutschen Einheit eingeladen hatte, kam es zwar nicht zu dem von manchen befürchteten "Hauskrach", aber einige recht kritische Stimmen gab es dennoch. Der Kreisvorsitzende der Frankfurter Union, Udo Corts, reklamierte "bessere Zeitzeugen", Stadtverordnetenvorsteher Bernhard Mihm hielt die Einladung ebenfalls "nicht für gut", während sich die Beisitzerin im Kreisvorstand, Sieglinde Fedel, fragte, "welchen Sinn sein Vortrag haben solle".

Für die Einladung des heute 70jährigen Schabowski, der im Januar 1990 aus der SED-PDS ausgeschlossen wurde, votierten dagegen eher konservative CDU-Politiker wie die stellvertretende Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Wolfgang Bodenstedt bekannte, "über jeden Bekehrten froh zu sein" und Dieter Kunzler, Vorsitzender des Stadtbezirksverbandes Fechenheim, freute sich auf einen "interessanten Zeitzeugen".

Über hundert Zuhörer und eine beträchtliche Anzahl Pressevertreter waren dann auch am 3. Oktober im randvoll besetzten Saal des Fechenheimer Kaninchenzüchtervereins zugegen, um den umstrittenen Gast bei seinem Auftritt zu erleben. Günter Schabowski, bislang wohl das einzige SED-Politbüro-Mitglied, das sich von der Politik der ehemaligen DDR-Führung glaubhaft und ehrlich distanzierte, und auch die Opfer der SED-Diktatur um Verzeihung bat, enttäuschte seine zahlreichen Zuhörer nicht.

Seine "ideologischen Scheuklappen" habe er für immer abgelegt, so der Festredner, der seine siebenjährige "Karenzzeit" im idyllischen nord-hessischen Rotenburg als "Lehrjahre im Erdgeschoß der Demokratie" bezeichnete. Sein eigenes Scheitern habe ihn zum Nachdenken gebracht, erklärte das sichtlich geläuterte frühere Mitglied im SED-Politbüro. In seiner Erinnerung an den 9. November 1989, den er "einen Meilenstein zur neuen Einheit der Nation" nannte, und an seine eigene Rolle an diesem geschichtsträchtigen Tag ist Schabowski heute noch glücklich darüber, daß es nicht zu Blutvergießen kam, als er unautorisiert die Öffnung der Grenze bekanntgab.

Kein gutes Wort fand der einst mächtige SED-Funktionär und Chefredakteur des Neuen Deutschland für die "von der kommunistischen Erbsubstanz" lebende PDS und andere notorische Nörgler. Die CDU habe hingegen an der deutschen Einheit festgehalten, meinte Schabowski und lobte vor allem den früheren Bundeskanzler Kohl, der den "Sturm zur Einheit" aufgenommen habe.


 
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