© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


CD: BAP
Zeitgeistkritiker
Holger Stürenburg

Die gute Nachricht: Die Kölsch-Rocker BAP  haben sich trotz des Ausstiegs nahezu der gesamten Stammannschaft, die seit 20 Jahren BAP-Chef Wolfgang Niedecken und seine einfühlsamen, manchmal auch satirischen Texte begleitet hatte, nicht aufgelöst. Die bessere Nachricht: BAP rocken wieder munter drauflos. Nach ihrem größtenteils mißlungenen letzten Album in alter Besetzung ("Comics und Pinups", Januar 1999), das kühl, uninspiriert und unnötig grunge- bzw. alternativelastig klang und auf dem sich Niedecken als Nachwuchs-Rapper mächtig blamierte, fand eine deutliche Entschlackung statt: Anstelle dröhnender Heavy-Gitarren (Gitarrist "Major" Heuser hat die Band ebenfalls verlassen) klimpert nur das Piano, wehen die Akustikgitarren, fiedelt die Geige durch die acht neuen und acht bereits bekannten, aber "unplugged" umarrangierten Songs. Und die allerbeste Nachricht: BAP haben mit ihrer aktuellen CD "Tonfilm" ihr bestes Album seit nahezu zehn Jahren vorgelegt.

Nicht nur, daß Niedeckens Stimme jünger und ausgeglichener klingt, auch läßt er sich wieder dazu hinreißen, in seinen Texten nicht nur den alten Jugendgeschichten aus den Fünfziger und Sechzigern zu frönen (wie auf nahezu allen BAP-Alben der Neunziger), sondern auch mal wieder den Zeitgeistkritiker und -kommentator heraushängen zu lassen, für den wir ihn und seine Band seit zwanzig Jahren so lieben.

Bei der Auswahl der "alten" Lieder hatte sich Niedecken vorgenommen, keine "Hits" (wie z.B. "Verdamt lang her" oder "Fortsetzung folgt") zum 250. Male nachzuspielen, sondern "Roadsongs" zu bearbeiten: Lieder also, deren Texte Autofahrten, Hotelnächte, Kneipenbesuche, Heimatlosigkeit, Tourneestreß beschreiben.

Man erkennt die BAP-Raritäten wie "Diss Naach es alles drinn" (1984), "Nemm mich met" (1983) oder "Ne schöne Jrooß" (1980) kaum wieder: Munter rockend, treibend, auf akustischer Pianobasis, wirken Niedeckens filigrane Texte, mit denen er oft selbst erlebte Geschichten und Beobachtungen erzählt, wesentlich kraftvoller, eindeutiger und vor allem emotionaler als einst mit "Majors" Rockgitarre im Hintergrund. So wird die legendäre "Ruut-wieß-blau-querjestriefte Frau" zum Beinahe-Rockabilly, während der ehemalige Reggae "Müsli Män" zum stillen Barjazz avanciert. Erstmals scheint man bei den Neuarrangements zu erkennen, was Niedecken mit seiner Lyrik sagen wollte.

Die kölsche Byrds-Bearbeitung "Rock‘n‘Roll Star" kennen wir bereits als Beitrag Niedeckens zu Jürgen Zeltingers "Solo-Piaat" im Sommer 1992, während "Mayday" als weiteres neues Lied bitterböse mit Zeitgeistmedien, Körperkult und kultureller Verflachung ins Gericht geht. "Rita, mer zwei", ebenfalls ein bislang unveröffentlichtes Lied, erzählt gefühlvoll die Geschichte einer alten Liebe, die zwar längst nicht mehr besteht, die man dennoch nicht vergessen kann.

Vielleicht sind BAP nach "Tonfilm" keine klassische Rockband mehr. Es ist durchaus vorstellbar (und vielleicht auch wünschenswert), daß Niedecken, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feierte, sich zunehmend von einem "deutschen Springsteen" zu einem "kölschen Tom Waits" entwickelt, der zukünftig zu sanften, leisen Arrangements wortreiche, aussagekräftige Geschichten erzählt, statt den (durchaus mit ihm gealterten) Fans weiterhin in großen Arenen und Hallen den (vielleicht nach und nach peinlich wirkenden) Rocker vorzuspielen.


 
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