© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Scheinsiege
von Alexander Schmidt

Die Welle von Wahlniederlagen der Sozialdemokraten veranlaßt die CDU zu Höhenflügen. Auf der Landkarte von Frau Merkel werden Orte – von deren Existenz sie bisher vermutlich nicht einmal wußte – so fett in schwarzen Siegeskränzen eingerahmt, daß ihr auf Dauer der freie Blick in die politische Landschaft verschlossen wird. Analysen belegen schließlich, daß die Union die neue Partei der Jugend sei. Die gleichen Umfragen belegen aber auch den Verlust von Parteienfixierungen. Friedrich Merz (CDU) führte die Wahlniederlage der CDU vor einem Jahr hellsichtig auf das Versagen der Union zurück. "Die SPD hat die Wahl nicht gewonnen, sondern wir haben die Wahl verloren" erklärte das Nachwuchstalent öffentlich. Gleiches gilt heute für die Lage der SPD in Deutschland. Es ist nicht die Rolle der Oppositionspartei, die von der Union in Perfektion übernommen wurde, sondern die Laienhaftigkeit, mit der SPD und Grüne an das Regierungsgeschäft herantreten. Auch der Wahlsieg der Berliner Union kann nicht darüber hinwegtäuschen. Vielmehr belegt er die These der CDU in der Rolle der Protestpartei. Die Wähler nämlich, die mit ihrer Stimme bei der Bundestagswahl für Schröders "soziale Gerechtigkeit" stimmten, wechselten zur PDS, die deutlich gestärkt aus den Wahlen hervorging.

Die SPD verliert nicht, weil die CDU das bessere Programm hätte, sondern weil die Deutschen der SPD einen Denkzettel verpassen wollen. Abwählen ist "in" und macht von Mal zu Mal mehr Spaß. Das zeigen die Verluste der SPD im kommunalen Bereich deutlich, weil Parteipolitik auf dieser Ebene eine eher untergeordnete Rolle spielt. Siehe Bonn: dort verlor die SPD an Boden gegenüber der Union. In der Stichwahl um den Bürgermeisterposten unterlag der CDU-Herausforderer aber der Bürgermeisterin der SPD, die für ihre Arbeit von allen Seiten Lob erntet

Die Union gewinnt, ohne wirklich zu siegen, weil das angeblich neue Programm nicht neu sondern nur aus alten Ideen neu formuliert ist. Solange das nicht erkannt wird, werden alle kommenden Gewinne nur Scheinsiege sein, mit denen sich die Christdemokraten "zu Tode siegen". Und zwar bis zur nächsten Bundestagswahl.Dann ist die SPD nicht nur in der Regierungsverantwortung gereift, auch das Überbordwerfen geliebter Dinge zugunsten der eigenen Zukunftsfähigkeit wird soweit vorangeschritten sein, daß sich Deutschlands Linke möglicherweise zur Unkenntlichkeit verändert hat und die Union die Quittung für die Rezeption alter Modelle erfährt. Aufwachen Union, sonst ist der Kampf um eine neue Deutschlandpolitik verloren, bevor er für die Konservativen begonnen hat.


 
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