© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Steuern: Gerüchte um Umzug von Daimler/Chrysler
Schwächt den Wolf!
Roland Baader

Ganz gleich, ob es sich um eine Latrinenparole oder um eine geschickt lancierte Druckausübung des Automobilgiganten auf die rot-grüne Politik handelt: Daimler-Chrysler hätte zweifellos die Option, den Hauptsitz des Unternehmens in die USA zu verlegen. Dem US-Fiskus und den Konzernbossen würde das gut – und dem deutschen Finanzminister wehtun, auch wenn das Unternehmen schon jetzt kein besonders ergiebiger Steuerkunde zu sein scheint. Wird hier also wirtschaftliche Macht ausgespielt und Druck auf die Politik ausgeübt? Sollte man den "Großen" nicht endlich per Gesetz verwehren, was den kleinen und mittleren Unternehmen ohnehin unmöglich ist, nämlich der Steuer- und Abgabenschraube in ferne Oasen davonzulaufen? Hat der DGB-Vorsitzende Schulte recht, wenn er fordert, die breiten Schultern müßten stärker belastet werden als die schmalen? Nein. Alles das ist Vulgärökonomie, Merkantilismus aus der Mottenkiste und eine perverse Verdrehung der Zusammenhänge.

Ob die Konzerne tatsächlich so wenig Steuern zahlen, wie ständig behauptet wird, sei dahingestellt. Fest steht, daß – gemäß offizieller Verlautbarung des Bundesministeriums der Finanzen – im Jahr 1998 die fünf Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen 41 Prozent des Einkommensteueraufkommens bezahlt haben, die obersten 25 Prozent berappen 72,2 Prozent, und die obere Hälfte 90,8 Prozent des Aufkommens. Es ist doch völlig egal, ob "das Unternehmen" die Steuermärker abliefert – oder statt dessen seine Bosse, Manager und Aktionäre, welche die Gewinne unter sich aufteilen. Fest steht auch, daß die Konsumenten und Arbeitnehmer davon profitieren, wenn ein Unternehmen weniger Steuern zahlt. Die meisten Steuern werden nämlich in den Preisen weitergegeben, und ein vom Fiskus ausgelaugter Betrieb wird zuallererst bei den Löhnen sparen.

Das Dumme an der Sache ist, daß die kleinen und mittleren Betriebe sowie die Selbständigen und Handwerker den "Gestaltungsspielraum" der Multis eben nicht haben. Sie müssen bleiben und blechen. Aber ist das die Schuld der Großen? Oder ist das nicht vielmehr der unersättlichen Kleptokratie in Staat und Politik anzulasten, welche die Steuermilliarden verpulvert?

Die geschundenen Mittelständler und Kleinexistenzen glauben derzeit nicht richtig zu hören, wenn ihnen dieselbe Funktionärskaste, die vom finanziellen Ende der öffentlichen Fahnenstange redet, zugleich die Rente mit 60, die 32-Stunden-Woche (mit Ziel 30-Stunden-Woche), die Verlängerung der Abschreibezeiten, die Erhöhung der Erbschaftssteuern, die scheinheilige "ökologische Steuerreform", neue Vermögensabgaben und die vulgärökonomische Spreizung zwischen Kapitalertrag- und Einkommensteuer als angebliche Großtat der "sozialen Gerechtigkeit" und der "Standortverbesserung" um die Ohren schlägt. Doch statt daß sich die Empörung gegen diejenigen richtet, die diesen Veitstanz zum Ruin des Unternehmens namens "Deutschland" veranstalten, schießt man sich gegen die Konzerne ein.

Auch der Kleinste der Kleinen sollte begriffen haben, daß es nur eine einzige unschädliche Spielart der Macht gibt, nämlich die Macht der Konsumenten, und daß es nur eine einzige Ordnung gibt, die diese Macht in der Hand der Bürger läßt, nämlich die Marktwirtschaft; daß ferner die üble Variante der Macht, die Herrschaft von Menschen über Menschen, nur an einem Ort auszumachen ist, in der Politik und in den politisch verfilzten Interessenverbänden. Auch kein noch so großes Unternehmen kann in einer rechtsstaatlich verfaßten Marktwirtschaft irgendwelche Herrschaft ausüben. Auch ein Daimler/Chrysler-Konzern kann niemanden zu irgend etwas zwingen, das nicht in freiem Vertragsschluß vereinbart worden ist. Es sei denn – und hier liegt die Crux! –, die Bosse seien mit der Politik verflochten, denn – anders als in der Wirtschaft und auf dem freien Markt – kann auch der kleinste Funktionär mit einem Gesetz im Rücken jedermann zu allem zwingen. Und wirtschaftlich-finanzielle Potenz wird dann (aber erst dann!) zur "Macht" in Form von Herrschaft über Menschen und deren Eigentum, wenn ihr die Politik die korrumpierte Hand reicht.

Die kleinen Geißlein sollten also nicht dem Wolf auf den Leim gehen und sich gegen jene aufhetzen lassen, denen die Flucht vor dem Raubtier besser gelingt als ihnen selbst. Das Unheil droht nicht von den dicken Ziegen, den Konzernen, sondern vom Wolf, der sie alle – ob klein oder groß – fressen will, von Politik, Parteien, Staat und Funktionären. Und statt zu meckern, wenn eine aus ihren Reihen entkommt, sollten sich die kleinen Geißlein lieber freuen, denn jeder entgangene Braten schwächt den Wolf und kann ihneines Tages vielleicht von seinen Raubzügen ganz abbringen. Was die Herren von Berlin so abschätzig und moralinsauer als "Kapitalflucht" und "internationalen Steuertourismus" bezeichnen, ist die letzte Bremse, vor der sie noch Respekt haben und die sie – aus schierer Angst vor dem Pfründe- und Machtverlust – noch zur Vernunft bringen kann.

 

Roland Baader war von 1968 bis 1985 Industriemanager und Unternehmensberater. Seit 1987 arbeitet er als freier Autor. Letzte Veröffentlichung: "Die belogene Generation: politisch manipuliert statt zukunftsfähig" (Resch, Graefeling 1999)


 
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