© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Benito, Jacques, Oskar
Karl Heinzen

Wann immer die Sozialdemokratie in den vergangenen 130 Jahren die Chance hatte, gestaltend in die politische Wirklichkeit unseres Landes einzugreifen, ist sie vor der Verwirklichung ihrer vermeintlichen Grundsätze zurückgeschreckt. Ihre Gegner haben sich daran nicht gestört: Sie werteten jeden Verzicht auf eine Veränderung der Besitzverhältnisse als einen Beweis der Verantwortung für das demokratische Gemeinwesen, welche auch die SPD zu einem günstigen Preis zu tragen gewillt wäre. Alle Versuche, mit dieser Tradition eines wohlüberlegten Opportunismus zu brechen, endeten außerhalb der Partei. Immer ernteten sie den fanatischen Haß derjenigen, die in der SPD verblieben und sich bloßgestellt fühlten.

Oskar Lafontaine ist also ein hohes Risiko eingegangen, als er die Regierungspolitik des Kanzlers aus erster Hand denunzierte, und man wird ihn dabei nicht eines billigen Populismus bezichtigen können: Nie wieder wird er dorthin gelangen, wo er schon einmal war. Seine Positionen eines nationalen und nicht nur demokratischen Sozialismus ernten breiten Widerspruch, ohne daß man sie gleich als solche verunglimpfen müßte. Wer Politik für möglich hält, stört die Atmosphäre, in der ein Helmut Kohl alles tun und vor allem lassen konnte, was er wollte und die auch erst diesem Gerhard Schröder, der er beschlossen hat zu sein, den Weg ins Kanzleramt freisperrte. Die Menschen haben sich darauf eingerichtet, daß der Zweck des Staates der Reichtum der Gesellschaft ist und die Orientierung am Gemeinwohl vor allem beinhaltet, den Neid zurückzustellen und sich am herausragenden Wohlstand einiger weniger so zu freuen, als hätten alle nicht nur an seiner Entstehung einen Anteil. Wer so tut, als gäbe es zu dieser Einstellung Alternativen, sät nicht Hoffnung, sondern Angst: Politik kann scheitern, und dann dürfte in der Gestaltung der Zustände niemand mehr darauf Rücksicht nehmen wollen, daß man sie doch auch schönreden können muß.

Mit seiner Politikbesessenheit redet Oskar Lafontaine an den Menschen vorbei. Nicht einmal gegenüber denjenigen, die sich lange eines Sinnes mit ihm wähnten, trifft er noch den richtigen Ton: Soziale Gerechtigkeit ist kein Selbstzweck, der es erlauben würde, am Nationalstaat festzuhalten – und wäre es auch nur für eine Phase des Übergangs. Wer mit der Neuen Mitte nicht klarkommt, sollte sich dennoch dafür zu schade sein, auf der Linken mit rechten Positionen zu kokettieren. In dem Alter, das Lafontaine unterdessen erreicht hat, tritt man nicht mehr in die Fußstapfen eines Benito Mussolini oder auch nur eines Jacques Doriot.

Die Tradition hat auch andere Vorbilder parat: Wann immer die Sozialdemokratie in einer Situation der Ausweglosigkeit auch noch starken Pressionen ausgesetzt war, hat sie an ihren Grundsätzen dann doch festgehalten. Zumindest in diesem Sinn dürfte Lafontaine seiner alten Partei verbunden bleiben.


 
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