© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Siegfried Unseld
Hofverleger der Intelligenzija
von Silke Lührmann

Für Marcel Reich-Ranicki ist er "wahrscheinlich der größte Manager, den das literarische Leben Deutschlands in diesem Jahrhundert hat und hatte". Und einer Generation von Oberschülern und Studenten ist Siegfried Unseld zumindest mittelbar ein Begriff. Wer hat nicht schon einmal eins der schlicht, aber in kräftigen, leuchtenden Farben gehaltenen Taschenbücher der edition suhrkamp in der Hand gehabt? Die Reihe wurde im Mai 1963 mit dem expliziten Ziel ins Leben gerufen, dem deutschen "Theoriedefizit" abzuhelfen. Inzwischen hat sich Siegfried Unseld damit zum Hofverleger der bundesrepublikanischen Intelligenzija hochgedient und den Suhrkamp-Verlag zu dem gemacht, was er ist: "ein Hauptmotor der literarischen Modernisierung der Bundesrepublik" (Jörg Lau).

Unseld, der "Verleger" als seinen Traumberuf nennt, wurde am 28. September 1924 in Ulm geboren. Sein Häusle schaffte er sich mit dem sprichwörtlichen Fleiß, der nötigen Portion Glück und dem genauso nötigen sicheren marktwirtschaftlichen Instinkt. Nach dem Kriegsdienst absolvierte er eine Lehre als Verlagskaufmann, verdingte sich als Werkstudent bei J. C. B. Mohr, bekam 1952 eine Stelle im gerade erst gegründeten Suhrkamp-Verlag und beerbte im März 1959 Peter Suhrkamp als Leiter des Hauses.

Ausdauer ist – nach eigener Aussage – Unselds Hauptcharakterzug, "Neugierde und Geduld" sein angestrebter Seelenzustand. Und diese Trias ist es auch, die sowohl den Autorenstamm als auch die Stammleser des Suhrkamp-Verlages auszeichnet. Keiner noch so schillernden Eintagsfliege wird hier gehuldigt, sondern das Lebenswerk eines jeden Autors, seine "ganze literarische Physiognomie" sorgsam gehegt. Daß dies dem Verlag im Zeitalter kurzlebiger Trends und leichtverdaulicher Informationen im byte-Format noch nicht zum Verhängnis geraten ist, liegt sicher auch daran, daß Suhrkamp die Trends mitzugestalten wußte: den Lateinamerika-Boom der achtziger Jahre beispielsweise, von dem er immer noch zehrt. So ist Isabel Allendes neuer Roman "Fortunas Tochter" die einzige Veröffentlichung des Hauses, die auf den aktuellen Bestsellerlisten erscheint.

Unseld promovierte in Tübingen über Hermann Hesse, fünfzehn Jahre bevor dieser zum Leib- und Magendichter der Sehnsüchtigen unter den 68ern avancierte. Daß beide Seiten der Sloterdijk/Habermas-Kontroverse ebenso bei Suhrkamp unter Vertrag stehen wie Martin Walser und Peter Handke – Autoren, die momentan ohne den Zusatz "umstritten" kaum zu haben sind –, hat dem Umsatz sicher nicht geschadet, spricht aber auch für die Echtheit jener intellektuellen Neugierde. Ein Mann, der den Begriff des kulturellen Erbes ernst meint und von der "intellektuellen und materiellen Verantwortung" seiner Zunft spricht.


 
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