© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Welthandel: Die ärmsten Länder streben Zollfreiheit für ihre Exporte an
Die Bremserrolle der EU
Ronald Schroeder

Die nächste Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) beginnt am 30. November in Seattle. 134 Mitgliedsstaaten verhandeln dann über einen freieren Welthandel. Formal sind alle Mitgliedsländer gleichberechtigt. Tatsächlich aber geben die großen Wirtschaftsblöcke den Ton an. Und mit den Vereinigten Staaten vertritt die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt den am wenigsten protektionistischen Kurs.

Natürlich haben auch die USA kurzfristige nationale Interessen im Blick. So sperren sie sich gegen eine Präzisierung der Anti-Dumping-Regeln. Während der Asienkrise bediente man sich in Washington dieser Regeln, um Stahlexporte aus Rußland, Brasilien und Japan vom heimischen Markt fernzuhalten. Tatsächliches Dumping lag vermutlich nicht vor, vielmehr hatten zusammengebrochene Währungen die Exporte dieser Länder dramatisch verbilligt. Doch den USA ist bewußt, daß auf lange Sicht ein freier Welthandel für alle Staaten Vorteile verspricht. Sie dringen auf Zollsenkungen und Marktöffnung. Dies als Ausdruck amerikanischen Vormachtstrebens zu deuten, fällt den Gegnern des Freihandels denkbar schwer. Immerhin sind es die Amerikaner, die mit der Öffnung ihres Marktes die Weltkonjunktur ankurbeln. Milliardenschwere Handels- und Leistungsbilanzdefizite gegenüber China, Japan und der EU sind die Folge. Allein der Monat Juli bescherte den USA ein Defizit von über 25 Milliarden Dollar.

Trotzdem möchten die USA bestehende Zölle verringern und neue gar nicht erst erheben, zum Beispiel auf den elektronischen Warenverkehr im Internet. Japan dagegen versucht, ganze Branchen mit Sonderregeln vor Importgütern zu schützen. China strebt in die WTO, um besseren Zugang zum Weltmarkt zu erhalten. Den eigenen Markt aber will man kaum öffnen. Zudem müßte China als WTO-Mitglied das internationale Urheberrecht respektieren.

Am vehementesten jedoch sperrt sich die EU gegen eine Liberalisierung der weltweiten Handelsströme. Die EU wird immer stärker zu einem im Inneren überbürokratisierten, ineffizienten Moloch, der sich nach außen durch Zölle und Einfuhrbeschränkungen abschottet. Allein von den Welt-Agrarsubventionen entfallen 85 Prozent auf die EU. Ihr protektionistisches Einfuhrregime für Bananen rettete sie mit immer neuen Finten und einer zynischen Interpretation des WTO-Regulariums über die Zeit. Selbst Urteile des WTO-Schiedsgerichts wurden ignoriert. Die Amerikaner reagierten mit Sanktionsdrohungen, nach den Regeln der Welthandelsorganisation ebenfalls nicht zulässig. Einmal mehr wurde deutlich, daß ohne die Gesetze der Welthandelsorganisation Anarchie und Chaos auf dem Weltmarkt herrschen würden. Der Rest der Welt ist nicht länger bereit, die EU-Agrarsubventionen hinzunehmen. Bundeslandwirtschaftsminister Funke (SPD) aber verspricht, das "europäische Modell der Landwirtschaft" zu verteidigen. In seinen Reden malt er das Bild von lebendigen ländlichen Räumen, glücklichen Tieren und sauberer Umwelt. Tatsächlich aber ist der EU-Agrarmarkt geprägt von einem irrwitzigen Subventionssystem, das jährlich zig Milliarden an Steuergeldern verschlingt, Rindfleischberge produziert und Dioxin-Skandale verursacht. Die Agenda 2000, die den europäischen Bauern feste Preise für Getreide, Milch und Zuckerrüben garantiert, gilt vorerst bis 2006. Ab 2003 aber steht sie im Widerspruch zu den Regeln der WTO. Die EU benötigt dann eine Ausnahmeregelung. Die dürfte den übrigen WTO-Mitgliedsländern aber nur schwer abzutrotzen sein. So liegt der Zuckerpreis in der EU viermal höher als auf dem Weltmarkt. Der europäische Verbraucher wird jährlich um 2,7 Milliarden Mark geschröpft, um Landwirten und der Zuckerindustrie fette Gewinne in die Kassen zu spülen. Über höhere Saft- und Marmeladenpreise gehören kinderreiche Familien zu den besonders Betroffenen. Rund 30 Prozent des produzierten Zuckers wird auf dem Weltmarkt verramscht und drückt dort die Rohzuckerpreise. Leidtragende sind die Entwicklungsländer. Durch solche Handelsbarrieren erleiden sie Einnahmeverluste von jährlich etwa 700 Milliarden Dollar.

Es ist paradox. Dieselben, die den freien Welthandel ablehnen, die Globalisierung als Recht des Rücksichtslosesten denunzieren und "aus sozialer Verantwortung" den Schutz heimischer Branchen vor den Zumutungen des Weltmarktes fordern, beklagen andererseits die Ausbeutung der Dritten Welt und fordern faire Handelspraktiken.

Mehr Realitätssinn beweist der WTO-Generaldirektor Mike Moore. Der Neuseeländer wurde mit maßgeblicher Unterstützung der USA an die Spitze der WTO gewählt. Er strebt Zollfreiheit für alle Exporte aus den 48 ärmsten Ländern der Welt an. Das brächte diesen Länder mehr als Entwicklungshilfe und Schuldenerlaß. Zumutbar sollte es den Industrienationen ebenfalls sein, da auf diese 48 Länder zusammen nur ganze 0,5 Prozent des Weltexports entfallen.


 
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