© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Pankraz,
Graf Coudenhove und die Kindersterblichkeit

Jetzt, da plötzlich so viel von der Verbesserung der menschlichen Gattung mittels moderner Anthropotechniken die Rede ist, droht ein entscheidender Gesichtspunkt völlig in den Hintergrund zu treten, nämlich der, daß es zu viele Menschen auf der Welt gibt und daß daraus großes Unheil erwächst. Wir stehen im Hinblick auf die Menschheit heute nicht vor einem qualitativen, sondern vor einem quantitativen Problem. Und die Quantität schlägt dauernd in die Qualität um. Wovon es zu viel gibt, dessen Wert sinkt ständig, wie man ja schon in jedem Grundkurs für Marktteilnehmer lernt.

Das alttestamentarische Gebot "Seid fruchtbar und mehret euch!" hat sich in eine schreckliche Geißel verwandelt. In seinem Zeichen wird am laufenden Band Unglück produziert: Armut, Übervölkerung, Wohnungselend, Bildungskatastrophe, gnadenlose Verteilungskämpfe, Völkerwanderung. Der Mensch sinkt verhaltenspsychologisch hinter Nagetiere und Ameisen zurück.

Bei denen genügt ein gewisser Warnduft, um schlagartig und für genau begrenzte Zeiträume alle Weibchen eines Volkes unfruchtbar zu machen oder seine Männchen zu sexueller Zurückhaltung zu veranlassen. Und wer partout nicht riechen will, der kriegt die Klaue des Uhus oder die tödlich-klebrige Zunge des Ameisenbären zu spüren, denn "gute Mäusejahre" oder "gute Termitenjahre" sind immer auch gute Uhu- bzw. Ameisenbärenjahre. Unterm Strich bleibt Übervölkerung ausgeschlossen.

In der modernen, "globalisierten" Menschengesellschaft sind solche weisen Naturgesetze auf unheimliche Weise suspendiert. Es nützt dort überhaupt nichts, wenn ein einzelnes Volk, weil es spontan "weiß", daß genug Menschen auf seinem Territorium leben, Geburtenkontrolle übt, weniger Kinder kriegt, seine Familien verkleinert, die Rentenbeiträge erhöht. Menschen aus anderen Völkern, die es noch nicht "wissen" (oder denen man es ausgeredet hat), rücken sofort in die freigelassenen Räume nach, wie Gasmoleküle in ein aufgelassenes Vakuum. Biologie reduziert sich auf simple Teilchenphysik.

Es ist so etwas wie eine Humanitätsfalle entstanden. Gesetze, die angeblich "humanitär" sind, auf den "Menschenrechten" fußen, sorgen dafür, daß die Völker sich nicht mehr gegen Invasionen wehren können. Eine hysterisierte, bis zum Wahnsinn auf Globalität eingestimmte Publizistik bügelt jeden Versuch, das Übervölkerungsproblem öffentlich zu thematisieren oder gar in das Gesetzgebungsverfahren einzuführen, als "Fremdenfeindlichkeit" oder Schlimmeres nieder. So nimmt das Unheil seinen Lauf.

Speziell auf den Menschen einwirkende Anti-Sex-Duftstoffe, Menschen-Feramone, gibt es leider nicht; was die Natur zur Regulierung der Menschenfortpflanzung bereithält, z.B. hohe Kindersterblichkeit, ist durch die Fortschritte der Medizin faktisch ausgeschaltet. Kultur tritt an die Stelle von Natur. Aber allmählich dämmert, daß man die Kultur nicht auf Dauer gegen die Natur in Stellung bringen kann. Es kann sich vernünftigerweise immer nur darum handeln, sich ihr elegant anzupassen, ihr gewissermaßen ständig zuvorzukommen.

Wenn die Kindersterblichkeit gebannt wird, so muß man ein vorgeburtliches Ventil schaffen, um den natürlichen Zweck dieser Sterblichkeit aufrechtzuerhalten. Man könnte Männer und Frauen durch medizinische Eingriffe massenhaft sterilisieren, doch dies wäre allzu frontal gegen die Natur, würde die Männer und Frauen in einem der wichtigsten Belange von der Natur vollständig abschneiden, sie in Androiden verwandeln. Naturwüchsiger Menschenstolz bäumt sich dagegen auf, Gefühl für Würde.

Viel naturnäher (und damit letztlich auch humaner und gottgefälliger) ist zweifellos die Manipulation am Keimling. Der totale Kampf der offiziellen katholischen Kirche gegen diese Art von Geburtenkontrolle ist, bei Lichte betrachtet, widernatürlich und gegen die Tradition. Kein Jesus-, Apostel- oder Kirchenvaterspruch läßt sich finden, der die Totalität dieses Kampfes rechtfertigt oder auch nur erklärt. Daß das Humanum, die Seele, die Gottbildlichkeit bereits in der befruchteten Eizelle gegeben sei, ist ein willkürlicher Spruch aus modernen Zeiten, der keine historische Autorität hinter sich hat.

Die Art und Weise, wie die Kirche zur Zeit ihren Kampf gegen die Manipulation am Keimling führt, ist antikulturell und antinatürlich zugleich. Bei aufgeklärten Völkern, die über die Drohungen der Bevölkerungsexplosion Bescheid wissen, richtet sie damit nichts mehr aus; bei jenen aber, die es noch nicht wissen, stiftet sie Illusion und Verwirrung, begünstigt die Ideologie von der angeblich unbeschränkten Macht der großen Zahl, verheert die Welt, verwandelt andauernd Qualität in Quantität.

Alles Gute, das ja auch in diesem Kampf steckt: das Eintreten für die Liebe zum Kind, der Affront gegen individualistische Bequemlichkeit und Respektlosigkeit vor dem Leben, die Mahnung zum innerfamiliären Zusammenhalt – all das wird durch die Totalität und Heftigkeit entwertet und um seine Wirkung gebracht. Am Ende hat man sich in zivilisierten Breiten selbst marginalisiert und zum Gelächter gemacht.

Dort, in diesen europäischen Breiten, scheint sich allmählich doch wieder ein schärferes Reflektieren des Verhältnisses von Quantität und Qualität einzunisten. Daraus kann manches entstehen, vielleicht sogar so etwas wie die bisher immer noch vermißte Idee des vereinten Europa. Graf Coudenhove-Kallergi, der bekannte Paneuropäer, war einst ganz erfüllt von dieser Hoffnung, sie war auch seine einzige. "Europa als Gestalt ist nur möglich", schrieb er 1931 in einem Manifest. "wenn es Sinn für Wertunterschiede zeigt, Sinn für Formen, Verachtung der Mengen. Das sicherste Zeichen der Barbarei und Zerstreuung ist hingegen der Kult der Zahl und der Quantität."


 
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