© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Volker Kronenberg: Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter
Ortsbestimmung der Gegenwart
Hans-Helmuth Knütter

Vor einem halben Jahrhundert veröffentlichte der Heidelberger Sozialphilosoph Alexander Rüstow unter dem Titel "Eine Ortsbestimmung der Gegenwart" ein bedeutendes, aber heute kaum mehr bekanntes Werk. Die Suche der Zeitgenossen nach Orientierung in orientierungsloser Zeit hat seither zugenommen. Ernst Nolte, emeritierter Professor für Geschichte an der Freien Universität Berlin, ist einer derer, die sich um eine solche Ortsbestimmung bemüht haben. Kritisch steht er zum Zeitgeist, und das hat ihm diffamierende Vorwürfe ("Faschist", "Revisionist") der politisch Korrekten eingebracht. Nun bietet Volker Kronenberg in seinem Buch – einer Dissertation im Fach Politische Wissenschaft an der Universität Bonn – eine Deutung Noltes und seines Werkes, die es in sich hat.

Geschichte und Geschichtsbewußtsein sind in Deutschland von zwei Seiten bedroht: Ideologen und Dogmatiker verstehen Politik als Weltanschauungskampf. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Menschheit durch Schaffung eines neuen Menschen. Andere Meinungen gelten als moralisch minderwertig und müssen unterdrückt werden.

Interessenvertreter versuchen, die Geschichte politisch zu instrumentalisieren. Moral ist nur die Kaschierung nackter Interessenpolitik. Diese beiden Komponenten fallen im bundesrepublikanischen Geschichtsbild zusammen. Nolte hat das entlarvt und die haßerfüllten Geiferer beider Richtungen auf sich gezogen. Kronenberg analysiert, kritisiert und korrigiert dieses verzerrte Bild in einer verständnisvollen Studie.

Eine hervorragende Einleitung von Manfred Funke, die jedem Leser, besonders dem eiligen, zu empfehlen ist, referiert Inhalt und Ziel dieses Buches einordnend und bewertend.

Nolte und Kronenberg treibt angesichts des Totalitarismus im 20. Jahrhundert die Frage nach dem Warum. Warum dieses Ausmaß an Vernichtung, an Grauen, mit dem Anspruch, eine bessere, von (willkürlich definierten) Feinden freie Welt? Nationalsozialismus und Kommunismus werden in ihrer zeitlichen Verknüpfung und Bedingung gesehen und nicht als das jeweils Gute gegenüber dem anderen Bösen, wie dies die Anhänger der Ideen tun. Beide gelten als Teile jener Kraft, die zwar das Gute will, jedoch das Böse schafft. Birgt diese Sicht aber nicht die Gefahr der Relativierung, der Gleichsetzung des Unterschiedlichen? Genau dies ist ja der Vorwurf der Nolte-Feinde. Rechte bekämpfen den Bolschewismus und rechtfertigen sich als Antikommunisten. Die Antifaschisten preisen den Sozialismus als Heilmittel gegen den "Faschismus". Jeder rechtfertigt die eigenen Greuel als Notwendigkeit im Kampf gegen den anderen. Dies versuchte Nolte zu durchbrechen mittels einer grundsätzlich neuen Deutung, um zu einer Ortsbestimmung der Gegenwart zu kommen. Mit beeindruckender Literaturkenntnis dokumentiert Kronenberg den Historikerstreit (1986), in dem es um die Relativierung des Bildes vom Nationalsozialismus angesichts des sich abzeichnenden Ende des Kommunismus ging. Das "Schwarzbuch des Kommunismus" (dt. 1998) von Stéphane Courtois hat Noltes Aussagen wieder aktuell gemacht. Welche an Noltes Werk gerichteten Fragen will Kronenberg beantworten? Es geht neben seinem Geschichtsdenken um seine Theorie des ideologischen Bürgerkriegs von 1917 bis 1989 und deren Herleitung aus der Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Wie steht es mit den "umstrittenen", schockierenden Argumenten um den "jüdischen Bolschewismus" und die gegenseitige Bedingung von "Archipel GULag" und Auschwitz? Was leistet Nolte für die Erhellung des Totalitarismus?

Kronenberg deckt die geistigen Zusammenhänge von Noltes Werk auf. In Rankes Diktum, zu schildern, wie es eigentlich gewesen sei, sieht er einen Quell von Noltes Geschichtstheorie. Beide, Ranke und Nolte, hatten auf gewaltige geistig-politische Umwälzungen zu reagieren, nämlich die Französische Revolution des 18. und die totalitären Mächte des 20. Jahrhunderts. Der andere Bezug besteht zu Martin Heideggers Menschenbild und Auffassung von Transzendenz. Nicht leicht zu lesen und schwierig zu verstehen, aber ein bedeutender Beitrag zur geistigen Ortsbestimmung und wichig für Noltes Verständnis von "historischer Existenz".

Dies alles mag ja selbst dem intellektuell gebildeten Leser fernliegen, ist er doch in der Regel kein Spezialist in Philosophie, Geschichte, Sozialwissenschaft, sondern interessierter Laie, orientierungsbedürftig in orientierungsloser Zeit. Aber: Die politische Bedeutung dieser tiefgründigen Untersuchung liegt in der Kritik jenes dumm-brutalen Leftismus, der Noltes Werk nur über den Kamm des Antifaschismus zu scheren vermag. Während dort alles nur an der zeitgemäßen Gesinnungskorrektheit gemessen wird, hat Volker Kronenberg die geistesgeschichtlichen Verknüpfungen des Nolteschen Werkes offengelegt, und die meisten seiner Kritiker als oberflächliche Nachredner des Zeitgeistes entlarvt.

Erregend ist die Darstellung des Liberalismus, auf dem unsere geistig-politische Existenz beruht, und der doch als "bürgerlich", kalt, berechnend gehaßt wird, sowohl von Rechten wie von Linken. Nicht weniger bedeutsam das Kapitel über den "jüdischen Bolschewismus und den kausalen Nexus", d.h. die Frage, ob Brutalitäten der NS-Herrschaft die Antwort auf vorangehende kommunistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren. Die offene Behandlung dieser Frage hat am meisten zu Noltes Diffamierung beigetragen. In einem Interview Kronenbergs mit Nolte deutet er dies nochmals an. Der offiziösen Tabuisierung dieses Themas entsprechend, ist die Darstellung Kronenbergs zurückhaltend, aber durch die Literaturfülle überzeugend. Kein Verschweigen ("die NS-Verbrechen sind unvergleichbar") wird an dieser Darstellung vorbeigehen können, die durch ihre Sorgfalt besticht.

Das Bild ist also rundum positiv, so daß sich der Rezensent fragt: Ist diese Besprechung ein unkritischer Jubelbericht? Vollkommen ist nichts, und so muß es doch auch hier Einwände geben: Gewiß – was Kronenberg bietet, ist ein schwerer Brocken. Nicht leicht lesbar, und der an Drei-Sekunden-Statements des Fernsehens gewöhnte Zeitgenosse muß Geduld aufbringen, wenn er sich diese Nolte-Interpretation mit Gewinn aneignen möchte. Mancher Leftist mag grinsend denken: Dies liest, da anspruchsvoll formuliert, ohnehin nur eine Minderheit. Deswegen: totschweigen. Aber man kann durchaus einzelne Kapitel herausgreifen und für sich lesen. Das wäre nicht ideal, ist aber immerhin möglich. Wer sich aber das ganze Werk erarbeitet, der ist einer Ortsbestimmung der Gegenwart ein ganzes Stück nähergekommen. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb ich einmal: "Der Geist steht links. Richtig. Da steht er und stagniert. Aber rechts bewegt er sich." Wem das angesichts des trüben Erscheinungsbildes der patriotischen Rechten als reichlich kühne Behauptung erschien, den kann dieses Buch eines Besseren belehren. Hier liegt ein Werk vor, das den linken Zeitgeist kritisch analysiert. Man sollte erwarten, daß dem angeblich linksstehenden Geist eine intelligente Widerlegung glückt. Aber nein. Tumbes Schweigen auf der Linken.

Jeder Kritiker des Zeitgeistes sollte dieses Buch nicht nur lesen, sondern studieren. Die Anstrengung lohnt sich. Dem Autor Anerkennung und die Ermunterung: Weiter so!

 

Volker Kronenberg: Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter. Versuch einer Verständigung. Mit einem Geleitwort von Manfred Funke, Bouvier Verlag, Bonn 1999, 399 Seiten, 39,80 Mark


 
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