© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Antimodernismus: Julius Evolas "Über das Initiatische" / "Der Mord an Professor Culianu" von Ted Anton
Für Eliade war der Mythos unsterblich
Karlheinz Weissmann

Die Verbindung zwischen den beiden hier angezeigten Büchern liegt in der Person des rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade. Eliade, 1907 in Bukarest geboren, verließ zu Beginn der vierziger Jahre sein Land und verbrachte den größeren Teil seines Lebens – er starb 1986 in Chicago – zuerst im französischen, dann im nordamerikanischen Exil. Eliade galt schon vor seinem Tod als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts, sein umfangreiches Werk faszinierte keineswegs bloß die Fachwelt, sondern auch viele interessierte Laien, die nicht nur die universale Bildung, sondern mehr noch die Gewißheit anzog, daß das Heilige in der Moderne vielleicht verschleiert, aber nicht zerstört werden könne.

Was hatte Eliade mit dem italienischen Kulturphilosophen und "Traditionalisten" Julius Evola zu tun? Ganz vordergründig kann diese Frage beantwortet werden unter Hinweis darauf, daß Eliade Evola die Mitarbeit an der renommierten Zeitschrift Antaios ermöglichte, die er zwischen 1960 und 1971 zusammen mit Ernst Jünger herausgab. Evola schrieb für Antaios insgesamt fünf Aufsätze, die jetzt mit neun weiteren – einige davon erstmals in deutscher Sprache – in einem Sammelband herausgegeben wurden. Wer sich mit dem Werk des italienischen Denkers intensiver beschäftigt hat, wird hier verschiedene Facetten seines "Antimodernismus" ausgeleuchtet finden; um nur auf einiges hinzuweisen: Das Spektrum reicht von Abhandlungen zur Grundlage der Philosophie ("Die drei Epochen des Gewißheitsproblems"), Untersuchungen zur großen Überlieferung ("Der sakrale Charakter des Königtums" und "Der Weg des Samurai") und zum Fortbestand des alten Wissens im religiösen Untergrund ("Religiosität in Tirol") über den großen Bereich der "Magie als Wissenschaft vom Ich", dem Evola immer besondere Aufmerksamkeit widmete ("Über das Initiatische" und "Der Weg der Selbstverwirklichung nach den Mithras-Mysterien"), bis zu Anmerkungen über die Geschichte der traditionalen Schule ("René Guenon. Ein Lehrer unserer Zeit").

Der Sammelband mit den Texten Evolas erschien unter dem Titel "Über das Initiatische" in ausgesprochen edler Aufmachung im "Archiv für Altes Gedankengut und Wissen" (AAGW) des H. Frietsch-Verlags. Dieses Haus veröffentlicht auch die Zeitschrift Gnosis, wohl die niveauvollste esoterische Publikation in Deutschland. In der Einleitung des hier vorgelegten Bandes finden sich zwei Aufsätze – etwas irreführend als "Vorwort" deklariert – von H. T. Hansen, der auch schon die Herausgabe der meisten anderen deutschsprachigen Evola-Ausgaben besorgt hat. Hansen befaßt sich hier in einem kürzeren Beitrag mit der interessanten Beziehung zwischen Evola und dem Psychotherapeuten Karlfried Graf Dürckheim, der Erkenntnisse Evolas über die rites de passages mit seinen Heilmethoden kombiniert hat, und in einem längeren mit der Verbindung zwischen Evola und Eliade.

Während es in den romanischen Ländern und den Vereinigten Staaten seit längerem eine lebhafte Aufmerksamkeit für die Biographie Eliades gibt, entzündet sich das Interesse in der Bundesrepublik höchstens an dessen Kontakt zur Eisernen Garde und deren Führer Codreanu. Infolgedessen greift Hansen in seiner Darstellung auch vornehmlich auf Veröffentlichungen in den USA, Frankreich und Italien zurück. Denen ist zu entnehmen, daß es sowohl in den dreißiger als auch zu Beginn der fünfziger Jahre direkte Begegnungen zwischen Evola und Eliade gab, mehr noch, daß zwischen dem Denken beider nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten existierten, sondern von einer Einflußnahme ausgegangen werden kann: einer Einflußnahme Evolas auf Eliade! Daß Elida kaschierte, was er einem anderen verdankte, hatte in diesem konkreten Fall nicht nur mit der notorischen Undankbarkeit des Akademikers für empfangene Geistesgaben zu tun, sondern auch mit der Sorge des exilierten Wissenschaftlers, sich Karrierechancen zu verderben, wenn er seine Affinität zum Denken der Traditionalisten offenlegte und damit möglicherweise einem immer wieder aufkommenden Gerücht über seine Verwicklung in die Geschichte des europäischen Faschismus Nahrung gab.

Hansen hat bei der Darlegung der Abhängigkeit Eliades von bestimmten Ideen Evolas ein besonderes Augenmerk auf beider Interpretationen der Alchimie gelegt. Eliades Ausführungen in dem Buch "Schmiede und Alchemisten" (französische Originalfassung 1956, deutsch 1960) diente vor allem der Widerlegung des modernen Vorurteils, wonach die Alchimie eine primitive und deshalb unzulängliche Form der Chemie gewesen sei. Eliade legte vielmehr Wert darauf, daß die Alchimie ein selbständiges magisches Konzept der Welterfassung gewesen sei, dessen innere Rationalität der des neuzeitlichen Weltbildes nicht nachstand. Ein Gedanke, auf den offensichtlich Evola schon vor ihm gekommen war, der aber immerhin vermittelt durch die Schriften Eliades einen jungen Landsmann des längst berühmten Religionswissenschaftlers faszinierte. Dieser junge Landsmann war Ioan Culianu, 1950 in Rumänien geboren. Seine Familie gehörte zur alten bürgerlichen Elite dieser unglücklichen Nation und hatte entsprechend unter dem Regime Ceaucescu zu leiden. Trotzdem gelang es Culianu, einen Studienplatz zu erlangen und als Stipendiat nach Italien zu kommen. Er entschloß sich, im Westen zu bleiben.

Nicht der unwichtigste Grund für diesen Schritt war seine Bewunderung für Eliade, dem er seine frühen Arbeiten zugeschickt hatte und der ihn zu weiteren Forschungen ermutigte. Allerdings erhielt Culianu, nachdem er sich zum Verbleib in Italien entschlossen hatte, nicht die erhoffte Unterstützung. Auf eine ähnliche Weise wie Evola, wenn auch aus ganz anderen Gründen, bekam er die Undankbarkeit und die Egozentrik Eliades zu spüren. Erst auf Umwegen erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Chicago, an der auch sein Meister eine Professur hatte.

Im Zentrum der Arbeiten Culianus stand die Magie der Renaissance. Was ihn an diesem Thema anders als Eliade besonders fesselte, war seine Überzeugung, daß die Magier jener Zeit wie alle Mantiker versucht hatte, eine Struktur hinter den kontingenten Abläufen im Weltgeschehen aufzufinden und diese Struktur zu manipulieren. Das spätere Interesse Culianus für die Gnosis einerseits, für Chaostheorie und andere Konzepte der modernen Physik gingen auch auf die Neugier für diesen Zusammenhang zurück. Dabei war der Erkenntniswille Culianus niemals rein theoretisch, er wollte auch – bei aller Skepsis im Hinblick auf das "Übersinnliche" – hinter die Äußerlichkeiten der Welt kommen und eben dadurch Macht über dieses Äußere – für das er sich offenbar mit einer unglaublichen Naivität begeistern konnte – gewinnen.

In dem Buch von Ted Anton, "Der Mord an Professor Culianu", wird all das ausgebreitet, das Elend der frühen Jahre, die komplizierte Beziehung zu Eliade, die eigenen Forschungen und zuletzt der Erfolg. Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet allerdings die immer noch unaufgeklärte Ermordung Culianus.

Es ist bis heute nicht feststellbar, ob Culianu dem Anschlag eines Geistesgestörten oder eines Neiders, den Exilgardisten oder der Securitate zum Opfer fiel. Am 21. Mai 1991 wurde er jedenfalls auf der Toilette des religionswissenschaftlichen Seminars der Divinity School der Universität Chicago durch einen Kopfschuß mit kleinkalibriger Waffe getötet. Anton hat sein Buch irritierenderweise als "Roman" bezeichnet.

Die Art der Darstellung rechtfertigt diesen Begriff nur teilweise. Denn sie beruht offensichtlich auf einer breiten Faktenbasis, ist aber über weite Strecken durch Spekulationen und ein gewisses Spiel zwischen verschiedenen Bedeutungsebenen gekennzeichnet. Anton webt damit zugleich an dem "Mythos Culianu", von dem Umberto Eco im Nachwort des vorliegenden Bandes spricht, wenn er darauf hinweist, wie schnell sich die Phantasie der modernen Medien an den rätselhaften Begleitumständen des Mordes entzündet.

Nach Auffassung Eliades ist der Mythos trotz aller Säkularisierung unsterblich, das Bedürfnis nach heiligen Geschichten ist elementar, und ihre Macht wurzelt tief im Menschen, narrare necesse est.

 

Julius Evola: Über das Initiatische. Aufsatzsammlung, AAGW, Sinzheim 1999, 305 Seiten, 78 Mark (nur direkt zu beziehen: AAGW, H. Frietsch-Verlag, Lothar von Köbelstraße 1, 765467 Sinzheim)

Ted Anton: Der Mord an Professor Culianu. Rekonstruktion eines Verbrechens, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999, 374 Seiten, 39,80 Mark


 
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