© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Parlamente: Entwickelt sich in Deutschland ein Drei-Parteien-System?
Rechte Flanke offen
Michael Wiesberg

Geht es nach dem Berliner Politologen und Zeithistoriker Arnulf Baring, dann steuert Deutschland auf eine Dreiparteienlandschaft aus Unionsparteien, SPD und PDS zu. Baring schränkt zwar ein, daß eine Verbindung von SPD und PDS verhängnisvoll für das Land wäre, aber Grüne und FDP würden als potentielle Bündnispartner mehr und mehr ausfallen. Anfang September ging Baring noch weiter. Da forderte er eine "geistige große Koalition", weil die "großen Fragen" gemeinsam gelöst werden müßten. Ansonsten bekäme immer diejenige Regierung, die etwas anzupacken versuche, "vom Wähler eins auf die Nase".

Ähnlich wie Baring äußerte sich der Mainzer Politik-Professor Jürgen Falter. "Ich erwarte", so wird Falter in der Berliner Morgenpost zitiert, "daß die FDP zugrunde geht, falls sie nicht ganz schnell wieder personell und programmatisch Fuß faßt". Besonders augenfällig sei, daß die FDP sich kaum noch inhaltlich profiliere und "zu einer reinen Funktionspartei verkümmert ist". Da die Liberalen ihre Rolle als Zünglein an der Waage nicht mehr spielen könnten, "besteht auch kein Grund mehr, sie zu wählen".

Im Hinblick auf die Zukunft der Grünen äußerte sich Falter vorsichtiger. Diese müßten allerdings aufpassen, daß sie als Juniorpartner in der Regierungskoaltion nicht ihr "grundsatzpolitisches Profil" einbüßten und sich in der praktischen Politik verschleißten. Die PDS sieht Falter als Gewinner der Veränderungen in der bundesdeutschen Parteienlandschaft. In zwei, drei Legislaturperioden würde die PDS "als normaler Bestandteil im deutschen Parteiensystem" empfunden werden. Den Unionsparteien empfiehlt er ob der zu erwartenden Rolle einer "strukturellen Minderheitspartei" die bundesweite Ausdehnung der CSU.

Ist ein Dreiparteiensystem tatsächlich eine mögliche Antwort auf die "enorme Labilität der politischen Landschaft" in Deutschland, wie sie Baring diagnostiziert hat? Bereits Ende 1993 meinte er, daß sich die Menschen in Deutschland aufgrund des Ausländerzustroms "in einem Zustand größter Verunsicherung" befänden. Parteien wie die SPD und die FDP hätten "zu lange sozialutopischen Illusionen angehangen" und damit "ein Problem wachsen lassen, das inzwischen den inneren Frieden bedroht".

Heute ist der "innere Friede" aufgrund der "sozialutopischen Orientierung" von PDS, SPD und Grünen nicht weniger bedroht als Ende 1993. Nur eines hat sich geändert. Die typischen Parteien des westdeutschen Wohlstands wie FDP und Grüne verlieren mehr und mehr an Boden. Ihre Programmatik hat sich augenscheinlich überlebt, weil sie die Menschen nicht mehr erreicht. An ihre Stelle tritt zunehmend die PDS. Diese suggeriert Zusammengehörigkeitsgefühl dort, wo FDP und Grüne für extremen Individualismus einstehen. Hier dürfte der eigentliche Grund für die derzeitige Polarisierung in der deutschen Parteienlandschaft liegen. FDP und Grüne wollen aus dem Paradigmenwechsel, der sich im Bewußtsein vieler Deutschen vollzieht, keine Konsequenzen ziehen.

Die Krise des Liberalismus, die mehr und mehr auf FDP und Grüne durchschlägt, äußert sich im Verblassen der traditionellen Polster, auf die die bundesdeutsche Gesellschaft lange Zeit zurückgreifen konnte. Begriffe wie Respekt vor der Autorität des Staates oder Gehorsam gegenüber den Gesetzen haben keine Bedeutung mehr. An deren Stelle ist das utilitaristische Kalkül, die strategische Rationalität und die Statuskonkurrenz getreten. Für letzteres steht heute insbesondere die FDP, zunehmend aber auch die Bündnisgrünen. Wenn aber das Prinzip der egozentrischen Nutzenverfolgung nicht in (gesellschafts-)zerstörerische Selbstsucht umschlagen soll, muß dieses in religiöse, kulturelle und politische Normen eingebunden bleiben, damit die alltägliche Solidarität und die Orientierung an allgemeinen Interessen auch unter Bedingungen globalisierter Märkte garantiert bleibt.

Dies haben je auf ihre Weise die PDS und die Union erkannt. Letztere propagieren zunehmend, um es mit dem Frankfurter Soziologen Helmut Dubiel zu sagen, die "politisch organisierte Wiederaufforstung von Sinn- und Pflichtmotiven". Diese Entwicklung nährt die Hoffnung, daß in Zukunft auch "rechte Parteien" wieder verstärkt das Interesse des Wählers finden könnten. Das Verblassen der Bindekraft von FDP und Grünen muß nicht zwangsläufig ein Dreiparteiensystem zur Folge haben, sondern könnte Raum für politische Kräfte aus dem rechtskonservativem Spektrum schaffen.


 
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