© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


EU: Keine Einigung über Zuwanderung
Asyl-Bumerang
Peter Lattas

E

inmal Depp, immer Depp. Das wichtigste Ergebnis, das die deutsche Delegation vom letzten EU-Gipfel im finnischen Tampere mit nach Hause nehmen konnte, war die dämmernde Erkenntnis, daß es aus der deutschen Selbstfesselung in Europa, die Kanzler Kohl seinerzeit in sechzehn Jahren zur Perfektion getrieben hat, so schnell kein Entrinnen geben wird.

Die von Neukanzler Schröder forsch in Angriff genommene "gerechte Lastenverteilung" bei der Flüchtlingsaufnahme ist jedenfalls nach bewährter Methode so gründlich zerquatscht worden, daß auf absehbare Zeit erst mal alles beim alten bleibt. Und das heißt: Die Mühseligen und Beladenen dieser Welt kommen auch weiterhin bevorzugt nach Deutschland, werden vom deutschen Steuerzahler alimentiert und bleiben darum auch recht gerne bei uns.

Was in Tampere an "konkreten" Maßnahmen vereinbart wurde, liest sich wie eine Veralberung. Keine Rede davon, die Flüchtlingsströme nach festen Quoten gleichmäßig auf die EU-Staaten zu verteilen. Der raffinierte Ausweg: Mitgliedsländer, die bei plötzlichen Massenfluchten überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen – in der Regel ist das sowieso Deutschland, das etwa im Fall Kosovo oder Bosnien zeitweise zwei Drittel bis drei Viertel der Hereinströmenden beherbergt hatte –, bekommen einen "Solidarausgleich" aus dem EU-Haushalt. Und den bezahlen zu fast einem Drittel sowieso wir. Egal, was man tut oder läßt – der Asyl-Bumerang fliegt immer zu den Deutschen zurück. Daß Schröder diesen Ringelpiez immerhin als "nicht logisch" durchschaute und deswegen die konkrete Ausgestaltung des "Solidarfonds" blockierte, war nur noch die unfreiwillige Krönung des Kasperletheaters von Tampere.

Der Rest war Gerede. Die "konsequente Kontrolle der EU-Außengrenzen" und die "Bekämpfung illegaler Einwanderung" soll verstärkt werden – was das bringt, erfahren wir jedesmal aufs neue, wenn über Italien eingeschleuste Kurden-, Zigeuner- und Albanerzüge von unseren "Partnern" südlich der Alpen einfach nach Deutschland durchgewunken werden. Zur "effizienten Steuerung der Migrationsströme" soll es "Informationskampagnen" geben. Das wird auf die Flüchtlinge großen Eindruck machen. Und noch schöner: Die Gemeinschaft will ein "Migrationskonzept" entwickeln, das Politik, Menschenrechte und Entwicklung in den Herkunfts- und Transitländern berücksichtigt. Wenn einer nicht mehr weiter weiß, gründet er ‘nen Arbeitskreis.

Eine Harmonisierung des Asylverfahrens soll erst "auf lange Sicht" verwirklicht werden – sprich: am St.-Nimmerleins-Tag. Dagegen will man für legal in der Union lebende Drittstaatsangehörige "vergleichbare Rechte und Pflichten" wie für EU-Bürger verwirklichen. Was vor zwanzig Jahren noch fahrlässig war – die Gleichstellung türkischer mit EU-Bürgern bei der Gewährung von Sozialleistungen, die Deutschlands soziale Sicherungssysteme zu ruinieren droht, je mehr der türkische Bevölkerungsanteil explodiert –, wird jetzt mit voller Absicht weiter betrieben.

Erst recht müssen die Alarmglocken klingeln, wenn die Präsidentin des Europa-Parlaments die Parole ausgibt, die EU müsse sich "verstärkt um Fragen kümmern, die in das tägliche Leben der Bürger eingreifen". Der in Tampere forcierte Versuch, die Innen- und Justizpolitik der EU-Staaten stärker zu harmonisieren, birgt totalitäre Gefahren. Während beim Asylsystem der für alle anderen so bequeme Status quo bestehen bleibt, nimmt anderswo die Europäische Orwell-Union immer mehr Gestalt an. Die Super-Polizeibehörde "Europol" soll künftig eine stärkere Rolle bei Kriminalprävention und Ermittlungen auf Unionsebene spielen und dafür u.a. mit operativen Daten von den Mitgliedstaaten versorgt werden. Erst schafft man die nationalen Grenzkontrollen ab und fördert dadurch die Ausbreitung der internationalen Kriminalität, dann läßt man zu ihrer Bekämpfung eine von keiner legitimen Gewalt kontrollierte und mit feudalen Immunitätsrechten ausgestattete Euro-Behörde wuchern. Ein schlechter Tausch.

Deutschland wird die alten Nachteile und Lasten nicht los und erhält ständig neue aufgebürdet – das ist das Fazit von Tampere. Einmal mehr stellt sich die Frage, ob Gerechtigkeit für Deutschland auf dem Wege einer Reform der EU überhaupt möglich ist oder ob der nationale Selbsterhaltungstrieb nicht vielmehr schon längst den Austritt gebietet.


 
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