© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Peter Rühmkorf
Grenzen der Sprache
von Werner Olles

In den fünfziger Jahren schrieb er unter dem Pseudonym Leslie Meier die Kolumne "Lyrikschlachtruf" im legendären Studentenkurier, dem späteren Konkret. Zwischen 1951 und 1958 studierte Peter Rühmkorf in Hamburg Germanistik und Psychologie, gründete aber bereits zu Beginn seiner Studentenzeit gemeinsam mit Werner Riegel die von 1952 bis 1956 existierende Zeitschrift Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit, deren Herausgeber er war. In dieser Zeit bereiste er auch die Volksrepubliken Polen und China, was seiner Affinität zu einem freiheitlichen und demokratischen Sozialismus jedoch keinen Abbruch tat. Nachdem er seine Studien beendet hatte, arbeitete Rühmkorf bis 1963 als Verlagslektor und war anschließend zwei Jahre Tutor am "Literarischen Kolloquium Berlin". Darauf folgte ein zweijähriger Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom. Anschließend lebte er als freier Schriftsteller in Hamburg.

Die 68er Bewegung begleitete Rühmkorf sprachmächtig, ohne sich politisch allzu eindeutig zu engagieren. Während der Höhepunkte der Unruhen hielt er Gastvorlesungen an der University of Texas, was auch als eine Art Distanz zu den Geschehnissen zuhause gewertet werden könnte. Gesellschafts- und Zeitkritik sind bei ihm, der auch Mitglied der "Gruppe 47" war, verbunden mit einem gelegentlich burlesken, frivol-aggressiven Stil und einer Vorliebe für Wortspiele und Sprachvariationen. Er ist nicht nur Verfasser literaturkritischer Essays zu Leben und Werk von Klopstock, Walther von der Vogelweide, Heinrich Heine und Wolfgang Borchert, sondern auch ein ausgewiesener Lyriker, dessen Themen und Formen ambivalent aus einer skeptischen Distanz gegenüber den Möglichkeiten einer unmittelbaren Anteilnahme und einer spontanen Zuwendung zum Dasein resultieren. So steht in Rühmkorfs Lyrik das Hymnische neben dem Ironischen, das Differenzierte neben dem Liedhaft-Schlichten, und oft changieren die Verse kunstreich und "januszüngig" zwischen Frechheit und Andacht.

Literarisch überliefertes von Barock bis Eichendorff findet ebenso Zugang in seine Sprache wie das Straßendeutsch. In seinem Prosastück "Über das Volksvermögen", einem "Exkurs in den literarischen Untergrund", kommentierte er gekonnt artifiziell die zeitgenössische "Volkspoesie". Rühmkorfs dramatische Arbeiten versuchen die dunklen Abschnitte klassischer Geschichte – Revolutionen und Konterrevolutionen – als ein Stück signifikanter Klassengeschichte aufzuhellen.

Vor allem aber ging es dem Schriftsteller Rühmkorf, der am 25.Oktober seinen 70. Geburtstag feiert, immer um die Sichtbarmachung von Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Denken. Daß er sich dabei zunehmend weniger politisch äußerte, zeugt auch von einer gewissen Resignation und Ermüdung.


 
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