© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Berlin: Die SPD kann sich einer Großen Koalition kaum verweigern
Die Jungen drängen nach vorn
Ronald Gläser

Entweder war es die Junge Union oder ein besonders zynischer SPD-Genosse, der die SPD-Plakate nach dem Wahldebakel mit "Danke, Walter!" überklebt hat. Walter Momper jedenfalls ist erlöst vom Wahlkampfstreß, vom öffentlichen Rummel um seine Person und von der lästigen Parteiarbeit. Vergangene Woche trat er von allen politischen Ämtern zurück. Seinem Comeback im Januar folgte das Waterloo am Wahlsonntag, das die Sozialdemokraten noch hinter ihr verheerendes Ergebnis von 1995 zurückgeworfen hatte (die JF berichtete).

Walter Momper geht, aber die SPD bleibt. Und sie hadert mit sich selbst, ob sie ein drittes Mal in eine Koalition mit der CDU eintreten soll. Auf einem Landesausschuß am Sonnabend hatte sich die Funktionärskaste der Hauptstadt-Genossen zu Sondierungsgesprächen mit der CDU entschlossen. SPD-Landeschef Peter Strieder betonte allerdings, daß von einer Neuauflage des Bündnisses mit der CDU noch keine Rede sein könne. Die Parteibasis sieht das noch drastischer. Schon am Wahlabend war im Willy-Brandt-Haus zu spüren, daß die Mehrzahl der einfachen Genossen ihr Heil nunmehr in der Opposition sieht. Stellvertretend für viele Mitglieder von der Basis meint beispielsweise Tuula Wolf, Bezirksverordnete aus Köpenick: "Ich finde, die SPD sollte jetzt endlich in die Opposition gehen." Auch der Führer der Parteilinken, Klaus-Uwe Benneter, empfiehlt seiner Partei, auf den Oppositionsbänken Platz zu nehmen. Besonders groß ist der Frust über die rot-schwarze Zusammenarbeit in den Ost-Kreisverbänden, wo die Niederlage mit nur18 Prozent noch deutlicher ausfiel als im Westteil der Stadt. Zur Beruhigung der aufgebrachten Parteifreunde haben Parteichef Strieder und Fraktionschef Böger sogar den einzigen SPD-Bezirksbürgermeister aus Ost-Berlin in das Gesprächsteam mit Diepgen und Landowsky aufgenommen.

Auf der anderen Seite stehen der rechte Parteiflügel um Klaus Böger und all jene, die auf die hochdotierten Senatsposten nicht verzichten möchten. Böger kämpft für eine Fortsetzung der Koalition, da sonst die Unregierbarkeit der Stadt drohe. Immerhin konnten er und seine Getreuen auf der nichtöffentlichen Sitzung des höchsten SPD-Gremiums zwischen den Parteitagen die Gespräche mit der CDU durchsetzen. Journalisten wurde der Zutritt verweigert, Delegierte wurden durch den Hinterausgang hinausgeschleust, und den Mitgliedern wurde eingetrichtert, nicht mit Vertretern der Presse zu reden. So blank liegen die Nerven bei der Regierungspartei. Eins scheint klar zu sein: Die SPD-Führung pokert derzeit, um der CDU möglichst viele Punkte abhandeln zu können. So besteht offenbar bei der SPD-Basis der Wunsch, die "Spar-Finanzsenatorin" Fugmann-Heesing mitsamt dem unliebsamen Finanzressort aufgeben zu wollen.

Letztlich wird der SPD nichts anderes übrigbleiben, als mit der Union weiterzumachen. Würde die CDU eine Alleinregierung bilden, müßte – aufgrund der Verfassungslage – nicht nur Eberhard Diepgen im Abgeordnetenhaus gewählt werden, sondern jedes einzelne Mitglied des neuen CDU-Senats. Eine Koalition der CDU mit den Grünen, wie sie von manchen christdemokratischen Hintlerbänklern zuweilen gefordert wird, wird es ebensowenig geben. Die Berliner Tagespresse hofiert seit Wochen Abgeordnete wie Monika Grütters, die solche Gedankenspiele verbreiten.

Auch in der CDU-Fraktion, die sich mittlerweile mit neuen, jungen Abgeordneten konstituiert hat, haben die bisherigen Machtverhältnisse ihre Gültigkeit verloren. So konnte zum Beispiel der CDU-Jüngling Mario Czaja in der PDS-Hochburg Hellersdorf die Wähler mit dem Slogan "junger, schwarzer Pfeffer in die Politik" begeistern und dort das einzige Direktmandat erringen.


 
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