© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Baden-Württemberg: Die Volksparteien leiden unter ihren wahlmüden Anhängern
Jeder zweite blieb daheim
Alexander Schmidt

Von einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung sprachen Wahlforscher am Tag nach den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg. Auch die 1.286 Unionsbürger, die aufgrund der Bestimmungen des Maastrichter Vertrages zum ersten Mal an den Kommunalwahlen im Südwesten Deutschlands teilnahmen, fielen bei der Wahlbeteiligung nicht mehr ins Gewicht. Lediglich 53,5 Prozent aller Wahlberechtigten nutzten ihr Stimmrecht. Das sind fast 13 Prozent weniger als bei den vergangenen Wahlen im Jahr 1994.

Der Tübinger Politikprofessor Hans Georg Wehling meint in dem Ergebnis zu erkennen, daß die Bürger genau wüßten, welche Wahl wichtig sei und welche nicht. Deshalb läge die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen traditionell am höchsten, bei den Kommunalwahlen und Europawahlen jedoch am niedrigsten. Außer den Freien Demokraten, die in den Gemeinderatswahlen 0,3 Prozent zulegten und auch in den Kreistagswahlen 5,5 Prozent erhielten, mußten alle Parteien im Vergleich zu den vergangenen Wahlen zu den Gemeinderäten Stimmenverluste hinnehmen. Die Wählerschaft der Republikaner halbierte sich sogar. Das Ergebnis sei jedoch kein "Gradmesser für unsere politische Arbeit", sagte der Landesvorsitzende der Republikaner, Christian Käs, der bei der Kommunalwahl die "bundespolitische Frustbewältigung" im Vordergrund sah, wegen der auch fast die Hälfte aller Wahlberechtigten zu Hause geblieben sei.

Nach den vorläufigen Endergebnissen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg vom 26. Oktober erreichte die Union 33,4 Prozent in den Gemeinderatswahlen und legte damit dreieinhalb Prozentpunkte zu. Noch größere Zugewinne gab es für die Christdemokraten bei den Ergebnissen der Kreistagswahlen, wo sie jetzt mit 44,8 Prozent vertreten sind. Schwarze Hochburg in Baden-Württemberg ist die kleine Ortschaft Deilingen (Kreis Tuttlingen). Dort stimmten 78,8 Prozent aller Dorfbewohner für die Union.

"Das Ergebnis reiht sich in die großen Erfolge der Union ein", sagte der Unionsvorsitzende Wolfgang Schäuble in Berlin. Jetzt wird vor allem spekuliert, ob der Rückenwind soweit reicht, daß Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) bei den Landestagswahlen in zwei Jahren es schafft, die absolute Mehrheit zu gewinnen. Die SPD verlor bei Gemeinderats- und Kreistagswahlen zwischen zwei und drei Prozent. Dies seien Verluste, die nach Meinung der Landesvorsitzenden der Sozialdemokraten, Ute Vogt, auf die Stimmungsmache der Union im Zusammenhang mit der vergangenen Berlinwahl zurückzuführen seien. Für den zur Zeit wenig erfolgsverwöhnten designierten Generalsekretär der Bundespartei, Franz Müntefering, bedeutete der Verlust von nur 78.301 Stimmen bei den Gemeinderatswahlen und der Verlust von nur 6.080 Stimmmen bei den Kreistagswahlen sogar eine "Festigung", mit der die Sozialdemokraten aus den Wahlen hervorgegangen seien.

Mit drei Prozent (vorher 3,1 %) in den Gemeinderäten und nur noch 7,4 statt vorher noch 9,3 Prozent bei den Kreistagswahlen ließen auch die Bündnisgrünen bei der Wahl Federn. "Mit so starken Einbrüchen", so die Landesvorsitzende der Grünen, Monika Schnaitmann, habe ihre Partei nicht gerechnet. Auch sie zog das Modell Berlin heran, dem die Wähler eine "bittere Absage" erteilt hätten.

Profitiert von der bundesbedingten Parteienverdrossenheit haben in jedem Fall die freien Wählervereinigungen, die nach Ergebnissen von Montag in überwiegend kleineren Gemeinden bisweilen sogar vor der Union liegen.

Im neukonstituierten Regionalparlament in Stuttgart schaffte die CDU den Sprung von 33 auf 42,3 Prozent, während die Freien Wähler ebenfalls einen Zugewinn von 11,2 auf 12,1 Prozent verbuchen konnten. Auf der Verliererseite standen nicht nur die Sozialdemokraten mit 23,6 Prozent statt vorerst 24,3 Prozent, sondern auch die Grünen, die mit Verlusten von 4,3 Prozent auf 9,9 Prozent zusammenschrumpften. Die Republikaner erhielten 5,5 Prozent der Stimmen und mußten 2,2 Prozentpunkte einbüßen.

Einige Gemeinden wollten sich dem Landestrend partout nicht stellen. In Kinzigtal, Gemeinde Gutach wählten 17,62 Prozent die CDU, die nach der Auszählung der Stimmen noch hinter der SPD (21,68 Prozent) lag. Den Rest teilen sich die Freien Wählern mit 31,43 Prozent und die Liberalen, die 23,84 Prozent erreichten.


 
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