© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Zeitgeschichte: Der Militärhistoriker Walter Post hält die Wehrmachtsausstellung für erledigt
"Es wurde kein Druck ausgeübt"
Dieter Stein

Herr Post, nach den jüngsten Enthüllungen über falsch beschriftete Bilder zeichnet sich ein Debakel für die Ausstellungsmacher der Wehrmachtsausstellung ab. Ist dies für Sie eine Überraschung?

Post: In keiner Weise. Es ist seit langem bekannt, daß die Zuordnung von Bildern eine ziemlich problematische Angelegenheit ist. Und daß beispielsweise schon die Zuordnungen, die in Archiven vorgenommen worden sind, oft nicht stimmen. Die Aussteller scheinen in dieser Beziehung ein wenig naiv gewesen zu sein, was Sie schon daran erkennen können, daß ein Großteil ihrer Bilder, die eben Hinrichtungsszenen zeigen, nur über sehr allgemeine Ortsangaben und keinerlei Zeitangaben verfügen. Dazu kommt noch, daß das Kriegsvölkerrecht in der Ausstellung fast völlig unterschlagen wird. Der Untertitel der Ausstellung lautet "Verbrechen der Wehrmacht". Aber es ist ungeklärt, was hier unter "Verbrechen" anzusehen ist. Um einige Beispiele zu nennen: Die Hinrichtung von Partisanen war nach Kriegsvölkerrecht im Zweiten Weltkrieg vollkommen legal, sogar ohne Kriegsgerichtsverfahren, und auch die Hinrichtung von Geiseln war dies unter bestimmten Voraussetzungen. Und wenn Sie nun ein Foto oder eine Serie von Fotos haben, auf denen Sie sehen, wie ein Zug Wehrmachtsinfanterie einige Zivilisten erschießt, dann müßten Sie grundsätzlich erst einmal wissen, was hier eigentlich vorgeht. Sind die Delinquenten Partisanen, sind es Partisanenverdächtige, sind es Geiseln oder sind es vollkommen unschuldige Personen? Und solange sie nicht bei den Fotos die dazugehörige Geschichte erzählen, können Sie überhaupt nicht beurteilen, ob hier ein Verbrechen vorliegt oder nicht. Und dies wird in der Ausstellung nur in seltenen Fällen getan. Und dann, wie wir erfahren, häufig auch noch unrichtig.

Ist es wirklich nötig, daß erst ein ungarischer und ein polnischer Historiker auftreten müssen, um die Ausstellungsmacher der Unwissenschaftlichkeit zu überführen?

Post: Das ist das alte Übel bei uns, daß ausländischen Historikern in diesen Fragen mehr Gehör geschenkt wird als den deutschen. Daß dies so lange dauerte, hängt aber auch mit der wissenschaftlichen Arbeitsweise zusammen: Wenn ein Historiker oder eine Gruppe von Historikern eine neue Darstellung der Öffentlichkeit präsentieren wollen, dann müssen sie sich erst einmal in die ganze Sache einarbeiten. Das dauert seine Zeit. Bei der Wehrmachtsausstellung kommt hinzu, daß zwar von Anfang an etliche Fachhistoriker kritisch waren, sie aber mit Rücksicht auf die Political Correctness eher geschwiegen haben. Sie werden sich erinnern, daß zeitweise etliche Politiker das Bekenntnis zur oder die Befürwortung der Wehrmachtsausstellung geradezu zu einem Bekenntnis zur Demokratie hochstilisiert haben. Die Ausstellung ist selbst von vielen CDU-Politikern nur sehr milde kritisiert worden. Da ist klar, daß sich konservative Historiker zunächst bedeckt gehalten haben.

Rolf Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt hat dieser Tage erklärt, prominente Historiker seien nach der "Heiligsprechung" der Ausstellung 1997 durch den Bundestag gewissermaßen in Deckung gegangen. Kann man sich als Historiker in Deutschland noch ohne Risiko für seine Karriere frei äußern?

Post: Das kommt darauf an, wo Sie beschäftigt sind. Ich bin freischaffend, ich kann mir das durchaus leisten, meine Auffassung offen zu sagen. Ein Lehrstuhlinhaber kann es theoretisch auch. Es ist sehr schwer, einen Professor von einem Lehrstuhl wieder zu entfernen, es ist faktisch nicht möglich. Allerdings haben die Herren oft noch verschiedene politische Rücksichten zu nehmen.

Nun reagiert das Hamburger Institut für Sozialforschung immer öfter mit juristischen Mitteln oder sogar kampagnenartig über die Medien, um Druck auf unliebsame Historiker auszuüben.

Post: Inwieweit ein Historiker sich frei äußern kann, hängt natürlich von verschiedenen Umständen ab.Erstens: Ein Historiker ist in in den meisten Fällen irgendwie von öffentlichen Geldern abhängig. Und zweitens: Er will ja meistens auch Karriere machen. Und daher wird er natürlich möglichst vermeiden, sich bei seinen Geldgebern unbeliebt zu machen, indem er Dinge äußert, die seine Geldgeber oder die öffentliche Hand vermutlich nicht gerne hören würden. Aber wenn sie erst einmal fest angestellt sind, dann sehe ich eigentlich keinen Grund, warum man nicht seine Meinung deutlich sagen kann. Da spielt der Opportunismus in den Geschichtswissenschaften eine viel größere Rolle als man meint. Ich glaube nicht, daß da wirklich massiver Druck ausgeübt wird. Daß jedoch Herr Reemtsma und seine Mitarbeiter vom Hamburger Institut für Sozialforschung solche Fragen gerne über ihre Rechtsanwälte zu regeln versuchen, ist ein Unding. Man kann Geschichtswissenschaft nicht mit Prozessen und über Rechtsanwälte betreiben. Daß diese Kalkulation nicht aufgeht, zeigt sich jetzt mit aller Deutlichkeit. Denn mit den neuesten Publikationen ist die Sache öffentlich geworden, und Prozesse werden jetzt Herrn Reemtsma und seinen Mitarbeitern nur noch wenig nützen.

Wie stark ist die Debatte um die Wehrmacht und diese Ausstellung politisch vorbelastet?

Post: Das hängt einfach von der Courage der einzelnen Historiker ab. Horst Möller, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München, hat sich beispielsweise dieser Tage recht scharf gegen die Ausstellung und auch sachlich richtig geäußert. Das zeigt mir, daß man, wenn man wirklich will, sehr wohl auch eine sachliche Debatte führen kann.

Was soll Ihrer Meinung nach mit dieser Ausstellung jetzt passieren?

Post: Ich kann Ihnen nur sagen, was jetzt weiter passieren wird. Herr Musial, Herr Ungváry und andere argumentieren, daß die Darstellung der Ausstellungen in verschiedenen Einzelfällen nicht stimmt. Als nächstes kommt die Antwort: Es kann natürlich sein, daß die Aussteller sich in Einzelfragen geirrt haben, aber die generellen Thesen der Ausstellung seien dennoch richtig. Der nächste Schritt wird notwendigerweise der sein, daß die Debatte sich um die Inhalte, also um die Aussage der Ausstellung, kümmern muß. Wenn sich die öffentliche Debatte wirklich um die Inhalte drehen sollte, wird man zu der Erkenntnis kommen, daß diese Ausstellung unhaltbar ist. Man wird sie sang- und klanglos am besten verschwinden lassen.

Sie wollen in einer eigenen Veröffentlichung noch in diesem Jahr über die reine Bilderfrage hinausgehen. Man könnte ja sonst sagen: "Na gut, dann tauschen wir eben die falschen Bilder aus, die Aussage aber bleibt!"

Post: Man muß die ganze Ausstellung mit einem Strafrechtsprozeß vergleichen. Einem Prozeß gegen die Wehrmacht und ihre Angehörigen. Bei diesem Prozeß, den hier quasi das Hamburger Institut veranstaltet, fehlt zunächst einmal die gesamte rechtliche Grundlage, weil das Kriegsvölkerrecht in der Ausstellung fast nicht vorkommt. Der nächste Punkt ist: Zu jedem Prozeß gehört es, daß das Entlastungsmaterial zu den Angeklagten vorgelegt wird. Das Entlastungsmaterial – es ist in diesem Fall sehr umfangreich – fehlt weitestgehend. Das einzige, was von den Ausstellern vorgelegt wird, ist das Belastungsmaterial, und das i2st zudem teilweise fragwürdig, um nicht zu sagen, in einigen Fällen nicht stichhaltig. Und ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, daß bei einem Prozeß dieser Art ein vollkommen schiefes Urteil herauskommt. Ich werde mich in meinen Publikationen bemühen, die Dinge einigermaßen richtigzustellen, indem ich erstens das Völkerrecht darstelle, zweitens das Belastungs- und drittens das Entlastungsmaterial vorlege. Und ich hoffe, daß das eine einigermaßen korrekte Darstellung sein wird.

Hätte die Wehrmacht dann, wie bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg, auch mit einem Freispruch zu rechnen?

Post: Mit Sicherheit!

 

Dr. Walter Post, 45, studierte Politikwissenschaft, Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Militärgeschichte und Philosophie. Promotion 1990, anschließend Lehrbeauftragter für Internationale Politik an der Universität München. Kulturelle Betreuung von Volksgruppen aus Osteuropa als stellvertretender Studienleiter im Haus der Begegnungen in München. Wichtigste Veröffentlichung: "Unternehmen Barbarossa. Deutsche und sowjetische Angriffspläne 1939/41" (1985)


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen