© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Schweiz: Blochers Volkspartei überrundet bei den Nationalratswahlen die Sozialdemokraten
Ein Votum für die Heimat in Freiheit
Johanna Christina Grund

Das Ergebnis der Wahlen zum Nationalrat und zum Ständerat der Schweizerischen Eidgenossenschaft am vergangenen Sonntag spiegelt genau die Stimmung im Lande wider, überrascht insofern nur Außenstehende und der politischen Verhältnisse in Helvetia Unkundige.

Erstmals in ihrer Geschichte ist die vor vier Jahrzehnten als Handwerker- und Bauernpartei gegründete Schweizer Volkspartei (SVP) stimmenstärkste Kraft im Bund geworden. Die unter Führung von Ueli Maurer und Christoph Blocher für Heimat, Freiheit und Unabhängigkeit werbende, den Asylmißbrauch scharf geißelnde, Steuerentlastungen anstrebende und für die Distanz der Schweiz zur EU, UNO und Nato kämpfende SVP gewann 8,4 Prozent hinzu und wurde mit 23,31 Prozent der Stimmen wählerstärkste Partei in der Summe aller 26 Kantone. Bisher die kleinste der vier Bundesratsparteien, überholte sie nun Sozialdemokraten (SPS), Freisinnige (FDP) und Christlich-Völkische (CVP), die bisher in der siebenköpfigen Regierung der Schweiz eine Mitte-Links-Koalition gebildet hatten.

Die Verzweiflung bei der SPS-Präsidentin Ursula Koch über den Verlust des Stimmenmehrs nach den Hochrechnungen am Wahlabend war groß. Erst als nach Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses durch die Wahlleitung am Montag bekannt wurde, daß die Sozialdemokraten mit 22,64 Prozent immerhin noch 0,8 Prozent der Stimmen gewonnen und nur drei Prozent der Parlamentssitze verloren hatten, legte sich die Aufregung. Die Sozialdemokratie hält durch Überhangmandate noch 51 Nationalratssitze gegenüber 44 (+15) der SVP, 43 (-2) der FDP und 35 (+1) der CVP. Die Kameraderie des Freisinns und der CVP mit dem Roten und Grünen in Richtung EU- und UNO-Öffnung der Schweiz hat sich beim Wähler nicht ausgezahlt.

Nach diesem Wahlsonntag werden alle jene Kräfte aufatmen können, die die dauernde Zwängerei der Bundesratsmehrheit mit Europa satt haben. Das Votum für eine Heimat in Freiheit ohne Vormundschaft aus Brüssel oder New York läßt Beitrittsvisionen in absehbarer Zeit keine Chance.

Auch bei FDP und CVP klaffen Stimmenprozente und Sitze auseinander. Die FDP verliert 0,6 Prozent, die CVP sogar 1,5 Prozent. Da es in der Schweiz keine prozentuale Mandatshürde gibt, ziehen mindestens zwölf Parteien wieder in den Nationalrat in Bern ein, also auch die Grünen mit 5,11 Prozent (+0,1) und neun Sitzen, die Liberale Partei mit 2,35 Prozent (-0,35) und sechs Sitzen, die Evangel. Volkspartei (EVP) mit 1,9 Prozent (+0,1) und drei Sitzen, die Schweizer Demokraten mit 1,92 Prozent (-1,2) und einem Sitz, die Tessiner Kantonalpartei Lega dei Ticinesi mit 1,1 Prozent (+0,2) und zwei Sitzen. Alle anderen Parteien blieben unter einem Prozent der Stimmen, gewannen aber trotzdem zusammen noch sieben Sitze.

Der Erfolg der Schweizer Volkspartei hat den Konzentrationsprozeß im rechten Parteienspektrum beschleunigt. Die 15 Sitzgewinne der SVP kommen zum Teil aus sieben Verlusten der Freiheitspartei (Autopartei) und zwei Verlusten der Schweizer Demokraten, der Rest von den Sozialdemokraten, Freisinnigen und Liberalen.

Christoph Blocher fordert jetzt eine Änderung der "Zauberformel" in der Zusammensetzung des Bundesrates. Bisher waren die Ministerposten im Verhältnis 2:2:2:1 aufgeteilt, weil die SVP die kleinste der vier Bundesratsparteien war. Sie stellt mit Adolf Ogi den Verteidigungsminister. Nun aber ist sie die stärkste aller dieser vier Parteien und verlangt einen zweiten Minister von der geschrumpften CVP. Entweder der Außenminister (bis jetzt Josef Deiss)oder der Innen- und Justizminister (bis jetzt Ruth Metzler) kämen ihr zu. Wie überall krallt sich die herrschende Koalition mit Klauen und Zähnen an ihre Macht und will nichts hergeben. Trotz der wegen der Höherwertung von Volksabstimmungen im basisdemokratischen System der Schweiz geringen Wahlbeteiligung von 43 Prozent läßt der Bürger aber im Ernstfall nicht mit sich spaßen. Das zerzauste Triumvirat wird so weiterregieren können. Die Bundesversammlung tritt am 15. Dezember zur Wahl des Bundesrates zusammen und wird der neuen Zeit Rechnung tragen müssen.

Mitentscheidend wird bis dahin auch die Sitzverteilung im Ständerat, der Kantonskammer mit 46 Abgeordneten, sein. Hier kommt es zu neun Stichwahlen um zwölf Mandate. Bisher errangen die FDP 13, die CVP 11, die SVP 6 und die SPS 4. Drei Optionen stehen für den Bundesrat offen: Erstens eine Mitte-Rechts-Regierung gegen die SPS mit zwei SVP-Ministern, die Christoph Blocher anstrebt, zweitens die Fortführung der bisherigen Kombination FDP, CVP, SPS gegen die stärkste Partei und deren Gang in die Opposition und drittens eine Auflösung der "Zauberformel". Begleitet werden diese Kraftübungen von der Einleitung des Referendums gegen die bilateralen Verträge mit der EU durch Schweizer Demokraten und Lega.


 
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