© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Kino: "Deep Blue Sea" von Renny Harlin
Von Helden und Haien
Ellen Kositza

Nur der Anfang wirkt lausig: eine laue Nacht an der kalifornischen Küste, zwei Pärchen auf einem Kutter, die Musik klimpert aus der Konserve, man knutscht, trinkt und lacht, und kawumm, kawumm, eine gräßliche Haischnauze zertrümmert das Boot, auf dem die jungen Leute "oh my god" kreischen. Schnitt. Eine junge Dame, die wohl in jedem aktuellen Schreibwerk als tough bezeichnet würde, wird zu ihrem Auftraggeber gerufen. Es geht um Haie, es geht um Genmanipulation. "Wir müssen die Forschungen stoppen", sagt der mächtige schwarze Mann. "Nein", entgegnet die zähe Lady und legt mit energischster Stimme, souverän und entschlossen dar, warum die Forschungen an den genveränderten Haien unmittelbar vor dem entscheidenden Durchbruch stünden. So weit ein altvertrautes Schema amerikanischer Filme, eingängig wie der alltägliche Entwurf einer Schlagzeile der Bild-Zeitung. Doch viel hat dieser Film nicht gemein mit den teilweise grausig schlechten "Der weiße Hai"-Klassikern, und überhaupt kommt hier alles ganz anders…

Karriereärztin Dr. Susan McAlester (Saffron Burrows) sucht also mit gentechnischen Experimenten die Alzheimer-Forschung zu revolutionieren. Auf der künstlichen Versuchsinsel "Aquatica" läßt sie einen Pharma-Konzern Gen-Haie züchten, deren Hirnmasse die Regeneration menschlicher Hirnzellen anzuregen verspricht. Wie konnte einer dieser Haie aus den Versuchsbassins entkommen? Carter Blake (Thomas Jane), tollkühner Taucher und Hai-Experte auf der marinen Versuchsstation, ahnt es – durch die genetischen Modifikationen haben die Tiere schier menschliche Intelligenz erlangt. Die fatalen Konsequenzen dieser menschengemachten Naturentartung werden deutlich, als ein Wirbelsturm über "Aquatica" fegt. Die Natur schlägt zurück – und wie! Die blitzschnellen, schlauen Gen-Haie sind sehr hungrig… Acht Menschen befinden sich nun auf "Aquatica", jeder von ihnen ein Symbol, vom Konzernchef (Samuel L. Jackson) über die liebende Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt (Überraschung: Jacqueline McKenzie aus dem Skinhead-Kultfilm "Romper Stomper") und den betenden Koch (LL CoolJ) bis zum Übermenschen aus Sonne und Stahl. Und: nur der Stärkste, das wird klar, als der blutige body count beginnt, wird überleben...

Man staunt, wie ungewohnt simpel das hierarchische Strickmuster ist, das über Gedeih und Verderb der Überlebenskämpfer entscheidet, und wie reizvoll dies sein kann. Sollte ein Film mit Haimonstern als Hauptdarstellern wirklich begeistern können? Dabei ist die Moral der Geschichte klar: Das wahre Monster ist gar nicht das tierische Kunstgeschöpf aus dem Genbaukasten, sondern der anmaßende Mensch, der ruhmgierig und naseweis der Natur ein Schnippchen schlagen will. Somit stellt der Film durchaus einen, wenn auch trivialkulturellen, Beitrag zur aktuellen Debatte über wissenschaftliche Ethik und Machbarkeitswahn dar.

Die lästige, aber obligatorische Eigenschaft von Actionfilmen, ohne langweilige Explosionsspektakel und abgerissene Gliedmaßen nicht auskommen zu können, erscheint hier jedenfalls auf ein erträgliches Mindestmaß zurückgeschraubt. Viel mehr als das Zerbersten und Zerfetzen steht die Aktion des Helden im Vordergrund – und hat man je einen heldenhafteren Darsteller gesehen? "Deep Blue Sea" sehen!


 
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