© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Israel: Ein Ende der militärischen Besatzung ist nicht in Sicht
Unter Barak nichts Neues
Kenneth Lewan

Wird der israelische Regierungschef Barak wesentliche Zugeständnisse machen? Um sich angemessen mit dieser Frage befassen zu können, sollte man sich die Lage, auf welcher die aktuelle Situation beruht, ins Gedächnis zurückrufen: Im Juni 1967 eroberte Israel Ost-Jerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golan-Höhen. Es handelte sich um einen Angriffskrieg, weil kein arabischer Angriff vorlag, als Israel losschlug. Gebietserweiterungen durch Gewalt sind vom Völkerrecht her verboten. Also hätte Israel sich bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückziehen müssen. In einem ähnlichen Fall, der Besetzung Kuweits durch den Irak, wurden die Eroberer wieder herausgetrieben.

Inzwischen hat Israel 170.00 Juden in Ost-Jerusalem angesiedelt, so daß sie jetzt dort die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Im Westjordanland sind 155.00 Siedler. Im Gazastreifen sind es 5.700, mindestens 11.000 wurden auf den Golan-Höhen angesiedelt. Seit der Oslo-Vereinbarung von 1993, die den Palästinensern unter anderem die Selbstverwaltung verschaffen sollte, sind israelische Truppen nur aus 18 Prozent des Westjordanlandes und 60 Prozent des Gazastreifens zurückgezogen worden. Sie sind an den Rändern der palästinensischen Ortschaften verblieben. Die militärische Besatzung der gesamten eroberten Gebiete besteht fort. Die "befreiten" Gebiete im Westjordanland sind zerstückelt und von jüdischen Siedlungen umzingelt. Der Zugang zu Ost-Jerusalem vom Westjordanland ist mit wenigen Ausnahmen für Palästinenser gesperrt. Israel gibt vor, Ost-Jerusalem einverleibt zu haben. Palästinenser sind in großem Umfang enteignet worden, um das Land für die Kolonisierung zu erschließen. Den Löwenanteil des kostbaren Wassers unter dem Westjordanland nimmt Israel für sich selbst und für die Siedler in Anspruch. Diese haben Schwimmbäder, während die Pälestinenser unter einer verheerenden Wasserknappheit leiden.

Barak hat wiederholt gesagt, Israel werde Ost-Jerusalem behalten, Verhandlungen darüber werde es nicht geben. Auch werde sich Israel nicht in die Grenzen von 1967 zurückzuziehen. Sein Vorgänger Netanjahu hatte noch versprochen, sich in Kürze aus weiteren 13 Prozent des Westjordanlandes zurückziehen (Wye-Vereinbarungen), hatte sein Versprechen jedoch nur zu unvollständig gehalten. In den Neuverhandlungen versprach Barak, sich aus acht oder neun Prozent zurückzuziehen. Allerdings soll dieser Rückzug erst im Januar nächsten Jahres verwirklicht werden. Da in Israel die Meinung weit verbreitet ist, daß sich der Verlust von israelischen Soldaten im Libanon nicht lohnt, so daß ernsthafte Verhandlungen mit Syrien notwendig seien, ist ein Rückzug Israels aus dem Südlibanon und von den Golan-Höhen einigermaßen wahrscheinlich. Viel schwerer vorstellbar ist ein Durchbruch in der Palästinafrage.

Was die Siedlungen betrifft, hat Barak verkündet, daß Israel die meisten von ihnen annektieren wird. Er würde keine bestehenden Siedlungen abbauen und keine neuen einrichten. Allerdings befürwortet er das "natürliche Wachstum" der vorhandenen Siedlungen. Ähnlich hatte sich auch Netanjahu geäußert, während er nichts gegen den Bau völlig unzusammenhängender Siedlungen tat.

Es gibt Gründe zu meinen, daß Barak die Schleusen für die Kolonisierung weiter öffnen wird. Als unter Netanjahu der Bau von Siedlungen vorangetrieben wurde, äußerte sich Barak mit keinem Wort dagegen. Als Baraks Arbeiterpartei zuletzt an der Macht war, war sie noch schärfer auf den Ausbau der Siedlungen bedacht als Likud. Zwar ist eine der sieben Parteien in Baraks Kabinett – Meretz – gegen die Siedlungspolitik, aber ihre Stimme wird durch die nationale religiöse Partei und andere ausgehebelt. Seit Baraks Amtsantritt wird die Enteignung von umfangreichen arabischen Ländereien für Siedler fortgesetzt, und Barak hat vor kurzem die Einrichtung von 2.600 neuen Wohneinheiten verkündet.

Barak hat sich auch zu der Frage der Rückkehr der Palästinenser geäußert, die 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Es waren damals 750.000 Menschen. Barak will sie nicht zurück lassen, über eine Entschädigung hat er nichts verlauten lassen. Alle bisherigen israelischen Regierungen haben sich geweigert, sie zurück zu lassen oder zu entschädigen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Menschen, die während des Dritten Reiches aus Deutschland verdrängt wurden – das schließt eine erhebliche Anzahl von Israelis ein –, von Deutschland eine materielle Entschädigung erhalten haben, während Israel die vertriebenen Palästinenser weder entschädigt noch zurück läßt.

Barak sprach kürzlich mit US-Präsident Clinton und forderte ihn auf, sich nur als Mittler und nicht als Schiedsrichter an den Verhandlungen zu beteiligen. Clinton stimmte zu und versprach damit, die grundsätzliche Zurückhaltung der USA fortzusetzen: Israel werde nicht unter Druck gesetzt, eine Lösung solle nur von den unmittelbar Beteiligten ausgehandelt werden. Gleichzeitig setzen die USA ihre Geldzahlungen und Waffenlieferungen fort, womit die Kolonisierung weiterlaufen kann. Mit ihrem Vetorecht vereiteln die USA Versuche des UN-Sicherheitsrates, den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen, Unter diesen Umständen gibt Israel nur soviel zurück, wie es im eigenen Interesse liegt. Eine Bestrafung, wie Serbien und dem Irak zugedacht wurde, braucht Israel nicht zu befürchten.

Alle Ansprüche rechtfertigt Barak mit Sicherheitsgründen. Die anderen wollten "Unterschiedliches", Israel wolle nur "Sicherheit" das ist die alte Leier nicht nur von Netanjahu, sondern von allen israelischen Regierungen und ihren Unterstützern. Wie andere Kolonisten behaupten die Zionisten, ihr Leben sei ständig durch Einheimische bedroht. So rechtfertigen sie die "Gegenmaßnahmen", u.a. Gebietserweiterungen. Ohne Frage haben die Einheimischen Gewalt, einschließlich Terror, gegen Zivilisten eingesetzt. Aber um der Sache gerecht zu werden, müßte hervorgehoben werden, daß die Kolonisten die Einheimischen stark herausgefordert haben. Durch die ursprüngliche Landnahme und die Eroberungen haben sie ihre Unsicherheiten selbst verursacht. Im Falle Israel kommt noch hinzu, daß sein Bestand nicht gefährdet ist. Die Palästinenser und die arabischen Staaten haben seit Mitte der siebziger Jahre ihre Bereitschaft erklärt, sich mit Israel abzufinden. Sie fordern nur die Freigabe der besetzten Gebiete. Sollte Israel dazu gebracht werden, die besetzten Gebiete zu räumen, würde es zweifelsohne auf deren Entmilitarisierung bestehen. Der israelische General Peled erklärte nach dem Krieg 1967: "Es gibt keinen Grund, die Tatsache zu verbergen, daß seit 1949 niemand es wagte, oder besser gesagt, niemand in der Lage war, den Bestand Israels zu gefährden."


 
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