© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Deutsches Theater: "King Kongs Töchter" von Theresia Walser
Der Tod ist ein Termin
Claudia Thieme

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt – so der Wortlaut des ersten Artikels unseres Grundgesetzes zum Schutz der Menschenwürde.

Das 1999 mit dem Dramatikerpreis ausgezeichnete Bühnenstück "King Kongs Töchter" der 32jährigen Autorin Theresia Walser erzählt vom täglichen Umgang mit Alter, Krankheit und Tod. Seit Oktober ist es an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin in einer Inszenierung von Lore Stefanek zu sehen.

Theresia Walser, eine von vier Töchtern Martin Walsers, die selbst ein Jahr als Pflegerin arbeitete, beschreibt den täglichen Rhythmus hinter den Mauern eines Altenheims, das Einerlei einer Zwangsgemeinschaft auf einer kleinen, vergessenen Insel, wo an jedem frühen Abend "... wieder einem Tag der Kopf abgeschlagen wird".

Die einjährige Pflegetätigkeit der Autorin war Teil ihrer 13jährigen Ausbildung an der Freien Waldorfschule am Bodensee, welche sie als einzige von vier Schwestern besuchte. Auf die Frage nach den Vorzügen der dortigen Erziehung betont sie, daß man lerne, "...mit sich selbst etwas anzufangen – ohne auf die Forderungen einer gesellschaftlichen Leistungsstruktur angewiesen zu sein". Eine beneidenswerte Fähigkeit, nicht nur im Kontext der Verselbständigung unseres Gesellschaftsgefüges und auf dessen Reflexion hin zu funktionieren, sondern die eigenen Möglichkeiten und Talente zu bemerken, sich des eigenen garantierten Wertes bewußt zu werden und sein Leben einrichten zu können.

Die Figuren, denen man auf der Bühne bei ihren verzweifelten Handlungen zuschaut, sind weit entfernt von Selbstbestimmtheit und Lebensqualität. Ein armseliges Häufchen alter Menschen ist in die Obhut dreier Pflegerinnen gegeben. Von den Alten werden sie Kellnerinnen genannt. Die drei jungen Frauen arbeiten ab: Jeden Tag das gleiche Ableisten ihrer Pflichten in gefährlicher Pseudoroutine, die sie, wenn seelischer und psychischer Druck zu groß werden, in unkontrollierte Überreaktionen treibt. Der Wert ihrer Leistung wird an der äußerlichen Ordnung und Ruhe im Heim meß- und sichtbar.

Die Alten, die Pflegebedürftigen warten die Zeit und den Tag ab. Die Leistungsgesellschaft hat ihnen die Berechtigung zum Nicht-mehr-leisten Müssen erteilt, will heißen, im Austausch dafür wird auch nichts mehr von ihnen erwartet.

Im Altenheim von Theresia Walser sind es die Pflegerinnen, welche – Schicksalsgöttinnnen gleich – das Leben der Alten und ihr Recht auf Selbstbestimmung verwahren. Um die "Last" überschaubar zu halten, herrschen auf dem Schauplatz kasernenähnliche Zustände. Die Alten erliegen dieser äußeren und inneren Situation. Die Möglichkeit, im Altwerden ihr Selbstverständnis zu finden, wird ihnen aberkannt. Sie reagieren in ihrer Langeweile mit Feindseligkeit, Schrulligkeit, Verwirrung. Das Publikum lacht über die Kauzigkeiten.

Und jetzt beginnt das Spiel. Die Schicksalsgöttinnen verwandeln sich. Sie werden zu King Kongs Töchtern, zu Boten der Traumfabrik Hollywood, zu "Stewardessen auf der letzten Reise". Nach dem Ableben eines jeden Heiminsassen wird selbiger von den Pflegerinnen nach allen Regeln der Kunst in eine von Hollywoods Leinwandikonen verwandelt und für die Bildersammlung des Personals abgelichtet. Diese Inszenierungen werden bis ins kleinste Detail perfektioniert. Der Zeitpunkt des Ablebens eines Heiminsassen entspricht exakt dem Todestag des auserwählten Stars, was natürlich kein Zufall ist. "Der Tod ist ein Termin, und wir sind die Chefdisponentinnen."

Ein Versuch der Pflegerinnen, dem würdelos Verstorbenen einen doch noch würdigen Abgang zu verschaffen? Oder eher die Sehnsucht, dem eigenen ungeliebten, unterbezahlten, sinnminimierten und geringgeschätzten Beruf doch noch phantastische Momente abzugewinnen? Wie auch immer – hier wird nicht angeklagt, zumal die wirklich Schuldigen an dieser Situation sicher nicht unter den Akteuren zu suchen sind. Darin liegt auch nicht der Anspruch des Stückes. Eine Parteinahme für eine der Figuren oder eine Gruppe von ihnen ist nicht erkennbar. Es wird eine Geschichte erzählt auf zwei Ebenen, ein Report und eine Groteske. Das Makabre ist, daß Parallelen in den Schlagzeilen der Nachrichtenblätter über Fälle in Wuppertal und Wien zu fahrlässiger Tötung und Tötung auf Verlangen vorhanden sind.

Lore Stefanek hat für ihre Inszenierung, trotz der hohen Brisanz und Härte dieses Themas, eine eher unspektakulär gewordene Arbeitstechnik gewählt – der des Behauptens, aber nicht Zeigens. Eine richtige Entscheidung. Jeder andersartige Umgang mit dem Thema wäre banaler, billiger Voyeurismus. Ihr gelingt es, auch ohne schockheischende und grobe Mittel Momente zu schaffen, die unter die Haut gehen. Eine äußerst feinfühlige Haltung zu diesem Thema und den Schauspielern gegenüber. Sensibilität und genaues Hinhören sind wichtig. Den Zuschauer quält nicht die Peinlichkeit des beschämten Wegschauens, die nicht sichtbaren Vorgänge laufen im Kopf ab. Plötzlich sind da Gerüche, Temperaturen und die Ahnung von der Langeweile, den Erniedrigungen und den leisen, zähen Sehnsüchten außerhalb des öffentlichen Raumes.

Das Geschehen spielt sich an einem einzigen Ort, dem Gemeinschaftsraum des Altenheims ab. Franz Lehr hat sehr stilsicher ein Bühnenbild entworfen, das trotz seiner Starrheit die beiden Realitätsebenen des Stückes bedienen kann. Der Raum hat trotz einer fiktiven Begrenzung sein Zentrum. Er ist spärlich möbliert und ohne Farben.

Weniger ausgereift dagegen die Kostüme von Stephanie Geiger. Die Ideenansätze zu den Charakteren stimmen, aber es scheint, als ob sie im Anfangsstadium verblieben wären und der Entwicklungsarbeit der Schauspieler mit ihren Rollen während der Probenzeit hinterherhinkten.

Der Regie warf man in einer Publikumsdiskussion im Anschluß an eine Vorstellung Laschheit und fehlende Radikalität im Umgang mit dem Material vor. Klar. Wird irgend jemandem irgendwo der Kopf abgeschlagen, ist das halt so. Richtig cool wird’s aber erst, wenn der Rest nochmal aufsteht und eine möglichst lange Wegstrecke zurücklegt. Schwenkt dann die Kamera noch auf den Stumpf, macht uns das betroffen.


 
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