© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


What’s going on in Berlin?
Karl H. Kahrs

Das akademische Jahr 1989/90 verbrachte ich als Betreuer kalifornischer Studenten in Heidelberg. Für einen deutschamerikanischen Politikwissenschaftler wie mich war das ein Geschenk des Himmels. Im Herbst 1989 war es nicht nur mir klar, daß sich im sowjetischen Großreich einiges bewegte, auch in der DDR. Ostdeutsche Urlauber hatten sich über Ungarn nach Westen abgesetzt, andere waren über die westdeutschen Botschaften in Prag und Warschau geflüchtet. Präsident Gorbatschow hatte seinen ostdeutschen Kollegen Honecker anläßlich des 40. Jahrestages der DDR deutlich sacken lassen. Es hatte erstmals seit 1953 spontane Massendemonstrationen gegeben.

Es tat sich also etwas im geteilten Deutschland. Doch der Universitätsalltag ging auch weiter. So nahm ich am 9. November 1989 mit meinen amerikanischen Studenten an einem Zusammensein mit deutschen Anglistikstudenten teil. Da die Stimmung gut war, begaben wir uns anschließend in den bei Studenten beliebten "Bierbrunnen". Das großräumige Lokal war knallvoll, und wir unterhielten uns gut. Gegen Mitternacht fuhren meine Frau und ich nach Haus und legten uns schlafen.

Frühmorgens klingelte das Telefon. Ein aufgeregter Kollege aus Kalifornien wollte wissen: "What’s going on in Berlin?" Ich hatte natürlich keine Ahnung, stürzte ans Fernsehgerät und war schlagartig im Bilde: Ost-Berliner strömten durch die geöffnete Mauer, riefen "Wahnsinn!", tranken Sekt und umarmten West-Berliner Landsleute. "So ein Tag, so wunderschön wie heute..." sangen sie.

Atemlos zog ich mich an und eilte ins Büro, das sich im gleichen Gebäude wie Heidelbergs AStA befand. Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber irgendwie mußte die Heidelberger Studentenschaft doch reagieren, wenn sie schon am Vorabend im "Bierbrunnen" nur gleichgültig ins Glas geguckt hatte. Doch da kam nichts! Kein Aufruf, keine Freudensbekundungen, keine aufgeregten Debatten...

Im Gegensatz zum fahnenschwenkenden Straßenjubel zur gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft im Folgejahr tat sich am 9. und 10. November in Heidelberg nichts! In den Folgetagen sah ich schließlich im Treppenaufgang zum AStA einen Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration in Frankfurt am Main unter dem Motto "Nie wieder Deutschland!"

So erlebte ich den Fall der Mauer. Aber es gab ein zartes Nachspiel: Zum folgenden Wochenende tauchten die ersten Besucher aus der DDR in Heidelberg auf, verdächtige Gestalten im Schloßgarten – ungläubig, tastend, so wie mancher Westdeutsche drüben zur Wartburg pilgerte. Ja, das gab’s noch. Und auf der Autobahn, der schnellen, gab’s unverhoffte Stockungen... Verdammt, was war das schon wieder? Doch es war nichts Schlimmes: Langsam fahrende Zweitakter sandten gemütlich blaue Auspuffwolken in den klaren Novemberhimmel.

So mancher Mercedes- oder BMW-Fahrer nahm beim Anblick der Trabants und Wartburgs nachsichtig den Fuß vom Gas: Ach so!


 
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