© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Grüne Gentechnik: Was die Deutschen von transgenen Lebensmitteln halten
Mutter Erde ins Handwerk gepfuscht
Hanno Borchert

Warum müssen sich Deutsche grundsätzlich gegen alle neuen Errungenschaften wenden? Wenn etwas verändert werden soll, dann sind die Deutschen erstmal grundsätzlich dagegen", meint Uwe. Harry hingegen ist der Ansicht, das Zeug sei sicher das Richtige für die Fast-Food-Kost der Amis, aber nichts für uns Deutsche. "Wenn alle Deutschen die gengepanschten Waren in den Regalen liegen lassen", so Harry, "wird dieses Problem hoffentlich bald erledigt sein."

Uwe und Harry sind zwei von zig Dutzend Interessierten, die sich beim "Talk im Netz" bei AOL bisher zu Wort meldeten. Der Welt größter Internet-Provider hat im Oktober zu einem sowohl wissenschaftlich als auch emotional heiß umstrittenen Thema ein öffentliches Forum eröffnet, nachdem diverse deutsche Supermarkt-Ketten wie Edeka, Spar oder Aldi angekündigt hatten, in Zukunft bei der Herstellung eigener Produkte auf gentechnisch veränderte Lebensmittel verzichten zu wollen. Die tieferen Gründe der bemerkenswerten Selbstbeschränkung der großen Ketten sind wohl darin zu suchen, daß sich Volkes Meinung eindeutig gegen genmanipulierte Lebensmittel wendet, zumindest jedoch große Vorbehalte bestehen. Da scheut sich manch einer, gegen die inneren Befindlichkeiten und Gewohnheiten der Verbraucher zu handeln. Image und damit Marktanteile sind schnell verloren.

Der US-Gentechnik-Konzern Monsanto brachte es mit einer Ende letzten Jahres in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage an den Tag: Bei den Briten ist der Anteil der Gegner von 38 Prozent im Oktober 1997 auf über 50 Prozent angewachsen. In Deutschland waren es rund 80 Prozent der Befragten, die sich gegen den genetischen Eingriff aussprachen. Und selbst im Gentech-Eldorado USA melden sich verstärkt die Gegner nicht nur zu Wort, sondern greifen auch zur Tat, beispielsweise durch Vernichtung von Feldversuchen mit transgenen Pflanzen. Diese Form der Ablehnung von Freisetzungsversuchen ist in zunehmendem Maße auch in Deutschland zu beobachten, wo die Anzahl der Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen kräftig zugelegt hat. Allein in diesem Jahr sind bundesweit schon über 440 Versuche vorgenommen worden.

Der seit Jahren geführte Streit dreht sich primär um potentielle Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt durch transgene Produkte, die die Wissenschaft aufgrund fehlender Erfahrungen nicht grundsätzlich ausschließen kann. Der Unterschied zur radioaktiven oder chemischen Verseuchung, die schon für den Menschen grausame Folgen haben kann – wie wir spätestens seit Tschernobyl, Bophal und Seveso wissen –, liegt im sogenannten "horizontalen Gentransfer", bei dem sich manipulierte Erbsubstanz selbständig vermehrt und sich in der ganzen Natur willkürlich ausbreiten kann – mit unkalkulierbarem Risiko.

Die Beweislast müßte umgedreht werden

Als im Sommer 1998 der renommierte britische Ernährungsforscher Arpad Pusztai an die Öffentlichkeit trat und erklärte, die Bevölkerung würde mittels der "Genkartoffel" zum Versuchskaninchen eines schädlichen Produktes aus den Giftküchen der Biotechnologen, wurde ihm ein Maulkorb verpaßt. Anfang dieses Jahres nun mußten seine Gegner einräumen, daß er recht hatte: Die Genkartoffel, der ein zusätzliches Schneeglöckchen-Gen eingepflanzt wurde, um den Einweißstoff Lektin als Schutz vor Blattläusen zu produzieren, zerstörte bei den mit ihr gefütterten Versuchsratten Gehirn, Darm, Nieren sowie das gesamte Immunsystem. Doch nicht das eingepflanzte Lektin-Gen allein war für diese Schädigung die Ursache, sondern das gesamte Genkonstrukt samt Steuersequenz.

"Was wissen wir über die Spätfolgen?" fragt ein junger Mann im Gen-Chat. "Vielleicht wachsen uns nach der Genmanipulation von Red Bull wirklich Flügel? Schlimmer wäre es allerdings, wenn sich unsere Körper die manipulierten Gene zu eigen machen würden und in Zukunft wieder verkrüppelte Menschen durch die Städte ziehen… siehe Medizin sechziger Jahre BRD… NEIN DANKE, laßt die Finger davon! Wir sollten ‘Mutter Natur’ nicht ins Handwerk pfuschen."

Ein häufig zu hörendes Argument, das der vorherigen Meinung diamentral entgegensteht, folgt ein paar Seiten weiter: "…Wo Bedenken sind, muß man diskutieren und weiter forschen, nicht einhalten der Bedenken wegen."

Was denn nun, einhalten oder weitermachen? Eine Entscheidungshilfe in dieser Frage würde vielleicht ein übergeordnetes Prinzip bringen, in dem gilt: in dubio pro vita. Im Zweifel für das Leben. Bei Beachtung dieses einleuchtenden Prinzips würde sich die Beweislast umdrehen, die gentechnischen Vorhaben dürften solange nicht ausgeführt werden, bis alle vorgebrachten Einwände an der Unschädlichkeit für den Menschen und die ihn umgebende Mitwelt nicht hieb- und stichfest von der Gentech-Industrie widerlegt wären.

Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, daß Gentech die Ernährungsfrage einer ständig steigenden Weltbevölkerung lösen würde, steht auf sehr wackeligen Beinen. Die heutige gesellschaftliche Schranke der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln ist nicht durch mangelnde landwirtschaftliche Erträge der herkömmlichen Produkte im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung bestimmt, sondern durch die ökonomische Form des modernen warenproduzierenden Systems. Die Logik der betriebswirtschaftlichen Rentabilität im Zeichen der Globalisierung erzwingt eine irrationale Restriktion der Ressourcen, die besonders stark auf der elementaren Ebene der Ernährung zutage tritt. Mit anderen Worten: Kein Mensch auf dieser Erde müßte heute hungern.

Ob die von den Konzernen so enthusiastisch projektierte Ernährungszukunft mit Genfood nicht eher in eine andere Richtung weist, diese Frage stellt Lutz Friedrich: "Meiner Meinung nach ist die eigentliche Gefahr der Gentechnik die Möglichkeit für Konzerne, über Genpatente die Kontrolle über sämtliche Saatgute zu bekommen – ausschließlich über ihre Finanzkraft."

"Verkaufe niemals dein Saatgut", lautet eine alte Bauernweisheit. Doch das Privileg, das den Bauern bisher erlaubte, selbsterzeugtes Saatgut weiter zu verwenden, wird bereits durch Hybridsaatgut unterlaufen. Der nächste Schritt der Enteignung beginnt sich gerade abzuzeichnen: Mit lizenziertem Saatgut von patentierten Pflanzen. Die Pflanze trägt nur einmal, und im nächsten Jahr muß der Bauer teuer nachkaufen.

Einige Händler haben Genfood bereits verbannt

Doch die zunehmende Sensibilisierung der Menschen trägt erste Früchte. Das Arnsberger Unternehmen Bremke & Hoerster, Betreiber der Lebensmittelketten "Famila" und "Combi" in Nordrhein-Westfalen, hat ganze Produktbereiche als "frei von Gentechnik" erklärt und weist zudem in seinen Filialen auf alle entsprechenden Produkte mit einem Logo und dem Schriftzug "Ohne Gentechnik" hin.

"Es ist halt so, der Markt bestimmt. Das was profitabel ist, wird auch gemacht", meint Andreas Schäfer. Doch während die Diskussion über das Für und Wider genmanipulierter Lebensmittel auch im Internet munter weitergeht, haben die Verbraucher in Deutschland die Möglichkeit, den Markt durch ablehnendes Verhalten gegenüber Genfood aktiv zu beeinflussen.


 
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