© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Pankraz,
B. B. und die belebende Wirkung des Geldes

Ziemlich merkwürdig fand Pankraz die Argumentation des amerikanischen Zeithistorikers Charles Maier auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington über die eventuelle Entschädigung von ehemaligen Zwangs- und Fremdarbeitern in deutschen Betrieben während des Zweiten Weltkriegs. Das Unrecht, das diesen Zwangsarbeitern angetan worden sei, sagte Maier, könne "niemals mit Geld wiedergutgemacht werden". Trotzdem müsse die deutsche Wirtschaft viel, viel Geld zahlen, weit mehr als die bisher in Aussicht gestellten sechs Milliarden, andernfalls könne es "keine Gerechtigkeit geben".

Was denn nun also, zahlen oder nicht zahlen? Wenn mit Geld keine Gerechtigkeit herzustellen ist, weshalb sollte dann überhaupt welches in Bewegung gesetzt werden, weshalb dann der Streit um die Angemessenheit von Summen? Alle bisherigen Nachdenker über das Wesen des Geldes gingen davon aus, daß zwischen Geld und Gerechtigkeit eine enge Beziehung besteht, daß mit Geld sehr wohl "entschädigt", also Schaden wiedergutgemacht werden kann. In vielen Gesellschaften gab und gibt es sogar das Institut des "Blutgeldes", das als angemessene Entschädigung für Mord und Totschlag akzeptiert wurde bzw. wird.

Im Falle der Zwangsarbeiter muß das Problem des Blutgeldes gar nicht erörtert werden, es geht um Ausgleich für unfreiwillig geleistete Arbeit. Warum sollte solch ein Ausgleich nicht möglich sein? Wer ihn aber für unmöglich hält oder wer das Unrecht als Menetekel stehen lassen will, der darf logischerweise auch kein Geld verlangen. Sonst setzt er sich dem Verdacht aus, daß es ihm gar nicht um die Zwangsarbeiter geht, sondern daß er ganz andere Interessen verfolgt, die durch den Hinweis auf die Zwangsarbeiterfrage kaschiert werden sollen.

Tatsächlich gibt es manchen Anlaß für einen derartigen Verdacht. Die Stiftung, die die amerikanischen Rechtsanwälte für die angebliche Entschädigung ins Leben rufen wollen, trägt nicht den schlichten, sachlichen Namen "Stiftung für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg", sondern man hat dafür den bombastischen Titel "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vorgesehen. Die deutschen Industriegelder, die in diese Stiftung hineinfließen, sollen offenbar gar nicht exklusiv für ehemalige Zwangsarbeiter verwendet werden, sondern zu einem nicht geringen Teil für den Aufbau eines neuen Zweiges der so ungemein lukrativen Weltkrieg II-Erinnerungsindustrie.

Der Jenaer Zeithistoriker L. Niethammer erklärte denn auch auf jener Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung, eine bloße Entschädigung "ohne eine in die Zukunft blickende und gleichzeitig auf die Erinnerung ausgerichtete Initiative" sei "undenkbar". Mit anderen Worten: Zahlen ohne Ende, auch wenn der letzte noch erreichbare ehemalige Zwangsarbeiter längst entschädigt ist. Wolfgang Gibowski, der Sprecher der deutschen Wirtschaft in der Stiftungsinitiative, sah in Washington diese Zumutung genau. Deshalb sein Beharren auf überschaubaren juristischen Regelungen und sein Ersuchen, die hetzerischen Anzeigenkampagnen in der amerikanischen Presse gegen die deutsche Wirtschaft zu beenden und zur wirklichen Sache zurückzukehren.

Um aber zur Frage der Gerechtigkeit zurückzukehren: Wenn Unrecht an Zwangsarbeitern mit Geld ausgeglichen werden kann und nach allgemeiner Überzeugung auch ausgeglichen werden sollte, dann kann es natürlich nicht nur darum gehen, den in Deutschland während der wenigen Kriegsjahre eingesetzten Arbeitern gewisse Summen zukommen zu lassen, sondern es muß im Sinne der Menschenrechte zu allgemeinen Lösungen kommen. Auf die jüngere Geschichte bezogen heißt das: Zumindest die Überlebenden der ungeheuren Sklavenheere, die im sowjetischen Gulag vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg im Joch gingen, müssen so schnell wie möglich entschädigt werden.

Das waren ja nicht nur Millionen deutscher Kriegsgefangener, die man damals wider alles Völker- und Menschenrecht in den Kohlegruben Workutas oder in den sibirischen Wäldern unter allerschlimmsten Bedingungen jahrzehntelang rabotten ließ und regelrecht verbrauchte, sondern unschuldige Häftlinge aus vielen anderen Ländern teilten deren Schicksal. Ganze Völker wurden weggeführt und zu unbezahlter Arbeit gezwungen, die Tsche- tschenen, die Inguschen, die Krimtataren, die Kosaken, die Kalmücken.

Wieso gibt es für die eigentlich kein Erinnern, keine Verantwortung, keine (geldliche) Zukunft? Die Amerikaner und Engländer, die damals mit Stalin ("Onkel Joe") zusammenarbeiteten, die ihm diese Völker teilweise erst zutrieben, sie ihm auslieferten, wären dafür zuständig, und sie sind bekanntlich reich genug, um so manchen schönen Fond aufzustellen. Mißverständliche Namen für diese Fonds wären gar nicht nötig.

Fast pikant wurde die an sich ernste Sache freilich, seitdem sich afrikanische Regierungen gemeldet haben und Entschädigung begehren für die vielen seinerzeit in die USA zwangsverfrachteten schwarzen Arbeitssklaven und für den westlichen Kolonialismus insgesamt, sofern er Zwangsarbeit im Gefolge gehabt hat. Da eröffnet sich nun wahrlich ein weites Feld, auf dem sich jeder Anspruch auf Gerechtigkeit im Dunkel der Geschichte verkrümelt und selbst das Geld seine Ohnmacht erweist.

Wie dichtete einst Bert Brecht in seiner Ode "Auf die belebende Wirkung des Geldes"? "Man will nicht das Gute, sondern Geld. / Und man ist von Kleinmut angehaucht. / Aber wenn der Gute etwas Geld hat, / Hat er, was er doch zum Gutsein braucht."

Auf der geschichtlichen Langstrecke fängt diese Weisheit an, eigentümlich zu schillern. Es sind nicht unbedingt die Guten, die das Geld haben, doch gut sind auch nicht automatisch die, die das Geld nicht haben. Am allerunwahrscheinlichsten gut sind diejenigen, die immer nur das Geld wollen.


 
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