© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Zeitschriftenkritik: "Universitas"
Verschiedenheit der Werte
Werner Olles

Universitas, die "Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft", erscheint monatlich bereits im 54. Jahrgang. Das Themenspektrum der rund hundert Seiten starken Hefte ist recht vielfältig und reicht von Schwerpunktthemen wie "Konfliktpolitik" über "Strategien der Verbrechensverhütung" und "Menschenrechte und politisches Handeln" bis hin zu Debatten über "Die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure" und der Frage "Warum fasziniert das Böse?"

Die Zeitschrift drückt sich also keineswegs vor der differenzierten Diskussion brisanter Themen. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Aufsatz des Sinologen und Politologen Paul Unschuld mit dem Titel "Das Kreuz mit dem Kopftuch", in dem der Autor dafür plädiert, die Frage nach der Verschiedenheit der Werte nicht auf eine beliebige Ebene der Folklore zu verweisen oder mit dem hinlänglich bekannten Verdacht des "Rassismus" abzuwehren, sondern den "Kulturismus", also das Beharren auf den eigenen Werten, genauer und unbefangener zu studieren, statt zu verdrängen.

Unschuld fragt, wo dann die Schnittstelle angesiedelt sein könnte zwischen den Grundwerten, die eine Gesellschaft bedingungslos bewahrt sehen sollte, und weniger relevanten Werten, für die man bereit und fähig sein könnte, unterschiedliche Maßstäbe zu dulden. Wobei die Skala kultureller Divergenzen recht weit reicht, und die zahlreichen Felder möglicher kultureller Dissonanzen von den Eßsitten und der Kleiderordnung bis zur Gleich- oder Ungleichrangigkeit der Geschlechter jederzeit Anlaß zur Konfrontation geben können. Wären wir zum Beispiel damit einverstanden, wenn japanische Banken hierzulande, in Anlehnung an durchaus übliche Gebräuche im Mutterland, ihren Kunden und männlichen Mitarbeitern attraktive junge Damen im Alter von fünfzehn bis höchstens dreißig Jahren als Sachbearbeiterinnen und Sekretärinnen zumuten würden, während ältere Mitarbeiterinnen schon im Einstellungsvertrag mit Erreichen dieser Altersgrenze zur Kündigung gezwungen würden?

Der Autor ist sich keineswegs sicher, ob "die Erwartung eines friedlichen Miteinanders von Bevölkerungsgruppen widersprüchlicher kultureller Identität in Deutschland begründet ist oder vielleicht in einer Katastrophe enden wird". Er weist zudem darauf hin, daß gerade diejenigen, die für Deutschland eine undifferenzierte und ungehemmte Einwanderungspolitik fordern, für die verschiedenartige Integrationsrituale klassischer Einwanderungsländer – man denke nur an den Flaggenkult, das Absingen der Nationalhymne bei allen möglichen Gelegenheiten und ähnliche identitätsbildende Riten in den USA – nur Hohn und Spott übrig haben. Auch würde die zunehmende kulturelle und ethnische Heterogenität neuartige und gänzlich veränderte Sozialstrukturen zur Folge haben, die bei den meisten Deutschen – speziell aber bei den Befürwortern einer multikulturellen Gesellschaft – keinesfalls ungeteilte Begeisterung auslösen würden. Werner Olles

"Universitas" erscheint in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft mbH, 70191 Stuttgart, Birkenwaldstr. 44. Jahresabo: 138 DM, Schüler und Studenten: 103,80 DM, Einzelheft: 15 DM


 
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