© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Olenin Terek: Von Wladiwostok bis zur Estremadura
Konfektionsthriller sind anders
Günther D. Franke

Die Geschichte beginnt im Sommer
1995, als der "Verpackungskünstler" Christo den Berliner Reichstag verhüllt. Über mehrere Wochen hinweg brennen – jeweils am Mittwoch – historische Gebäude nieder, meist Symbole staatlicher oder kirchlicher Macht – in Moskau und Wien, in Potsdam und Lissabon. Die Gleichzeitigkeit der Brände gibt den Polizeien der betroffenen Länder große Rätsel auf. In Deutschland wird die BKA-Kommissarin Iphegenaia Merck mit der Aufklärung betraut. Sie arbeitet mit einem Moskauer Amtskollegen zusammen und stößt auf die gut organisierte Gruppe der Eurasier, die auch die verhüllte Reichstagsbaustelle abfackeln will – als Fanal für ihr politisches Konzept.

Der Leser lernt einen der Eurasier, den alten Kosakenoffizier Jemeljan Bohun, kennen, die junge Berliner Rundfunkmoderatorin Siglind Sand und den zwielichtigen Ex-DDR-Wissenschaftler Dr.Wolf Markant, der erforscht hat, wie man das menschliche Gehirn mit PAW, mit personenaktivierenden Worten manipulieren kann.

Spannend erzählte Handlungsstränge, phantasievolle Enthüllungen aus Stasi-Archiven, eineinhalb Liebesgeschichten, etwas lakonischer Witz, treffsichere politische Zwischentöne und hie und da ein semantischer Sonnenstrahl für die deutsche Seele: Es könnte sich, wenn einer der Konfektionsprofis der einschlägigen Großverlage noch letzte Hand angelegt hätte, um einen Erfolgstitel eines etablierten Erfolgsautors handeln.

Aber der Autor ist nicht etabliert, er heißt nicht so, aber er nennt sich Olenin Terek und er hat keinen der üblichen Konfektionsthriller schreiben wollen, sondern einen Roman als politisches Manifest. Olenin ist der Held in Tolstois "Kosaken". Und Terek heißt jener Fluß aus dem Kaukasus, an dem 1942 Divisionen der Deutschen Wehrmacht bereitstanden für den großen, entscheidenden Stoß nach Asien, der dann doch nicht mehr gelungen ist, und an dem heute die russische Zentralmacht Krieg führt gegen die abtrünnigen Tschetschenen.

Der Wahl dieses Pseudonyms liegt die Einschätzung zugrunde, daß sich im Kaukasus das Schicksal Eurasiens entscheidet, des Großkontinents, der sich vom Atlantik bis nach Wladiwostok erstreckt. Für den Autor, den das Brüsseler Europa als viel zu provinziell langweilt, ist Eurasien die große Hoffnung, das einzig denkbare politische Konzept von historischer Tragweite, das eine Antwort auf die amerikanische Anmaßung werden kann, die einzige Weltmacht zu sein und zu bleiben.

Die Eurasier des Autors wollen es nicht hinnehmen, daß der Begriff Eurasien nur im Machtkalkül Amerikas und seiner neuen Weltordnung eine Rolle spielt und daß es nach dem Zerfall der Sowjetunion nur noch die USA waren, die ihre Ziele eurasisch definierten, und nicht die Eurasier selbst.

Mit den Handlungssträngen und Dialogen seines politischen Thrillers will Olenin Terek Anregungen für eine eigene eurasische Weltsicht bieten. Daß er sich dem Thema Eurasien widmet, hat eine längere Vorgeschichte. Mehr als zwei Jahrzehnte war er politischer Journalist bei einer überregionalen Tageszeitung und Politikchef einer großen Illustrierten, bis er sich – angewidert von manchen Usancen der hierzulande verbreiteten Form von Pressefreiheit – aus dem Medienbetrieb zurückzog. Den Gedanken eines Kontinentalblocks griff er schon in den siebziger Jahren ein erstes Mal auf, als er unter dem Titel "Zur Feindschaft verdammt?" unkonventionelle Gedanken über ein Bündnis zwischen Russen und Deutschen publizierte, ein Bündnis, das die einzige Weltmacht seit jeher fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Eurasien-Gedanken des Autors gehen in die gleiche Richtung. Wenigstens mit der Schreibmaschine den Tiger reiten, sagt er am Telefon, wenn es schon nicht anders geht.

 

Olenin Terek: Von Wladiwostok bis zur Estremadura, Eurasischer Verlag Hans Wagner, Altomünster 1999, 237 Seiten, geb., 24,80 Mark


 
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