© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Kunst im Reichstag: Haacke-Trog wird zum Politikum
Kosten bleiben geheim
Theo Mittrup

Zwei Wochen, nachdem die JUNGE FREIHEIT zum ersten Mal über die bevorstehende Installation des umstrittenen Kunstobjektes "Der Bevölkerung" im Lichthof Nord des Reichstagsgebäudes berichtete, schlägt das Thema immer größere Wellen. Inzwischen lastet das Thema auch die Pressestellen des Bundestages aus, wie die Süddeutsche Zeitung vergangenen Freitag feststellte.

Im Ältestenrat des Bundestages kam es gar zum Eklat, als in "ungebührlicher Lautstärke" und "mit deftigen Adjektiven" über das Kunstwerk Hans Haackes debattiert wurde. Dabei geht der Streit quer durch alle Fraktionen. Selbst aus den Reihen der Fraktion Bündnis ‘90/Die Grünen werden inzwischen kritische Stimmen laut, so zum Beispiel die Befürchtung, das Kunstwerk könne sich zu einem "vergammelten Dreckhaufen" entwickeln, was wiederum ein bezeichnendes Licht auf die gärtnerischen Kenntnisse des "Aktionskünstlers" Haacke wirft.

Die Vizepräsidentin des Bundestages und Abgeordnete der Grünen, Antje Vollmer, bekannte sich inzwischen ebenfalls als Gegnerin des Haacke-Projekts. Dies ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da Antje Vollmer ebenfalls Mitglied im Kunstbeirat ist. Da sie an der am 2. November erfolgten Abstimmung nicht teilnehmen konnte, galt bislang der CDU-Abgeordnete Volker Kauder als alleiniger Gegner des Projekts im Kunstbeirat.

Als "Kitsch in Eimern" tituliert Antje Vollmer das Werk Haackes unmißverständlich. Sie findet schon die Vorstellung, daß jeder Abgeordnete "mit einem Sack Erde auf dem Rücken" ins Reichstagsgebäude marschiert, eine Absurdität. "Eine sehr schwache Arbeit" sei das mindeste, was man über das Objekt sagen könne. Interessant ist auch ihre Interpretation der Reichstagsinschrift "Dem Deutschen Volke". Haackes politische Bewertung der Widmung sei historisch falsch. Kaiser Wilhelm II. habe damit lediglich die Einheit der Deutschen ausdrücken wollen. Den von Haacke neu verwendeten Begriff "Bevölkerung" bezeichnet Antje Vollmer als eine "Verschlimmbesserung".

Peter Ramsauer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, zeigte sich dagegen schon von Beginn an als entschiedener Gegner des Haacke-Trogs. In der vergangenen Woche versuchte er den Preis des Haacke-Werkes in Erfahrung zu bringen. Seine dreitägige Recherche war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Im Ältestenrat habe Parlamentspräsident Thierse (SPD) sich sogar dagegen verwahrt, bei einem Kunstwerk nach dem Preis zu fragen – als ob Kunst überhaupt keiner Kostenkontrolle unterliegen dürfe.

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigte die Pressestelle des Bundestages am Dienstag, daß die Kosten für die Kunstwerke nicht öffentlicht bekannt gemacht würden, auch um damit die Marktpreise, die der jeweilige Künstler im allgemeinen für seine Werke erzielt, nicht zu beeinträchtigen.

Fest steht, daß für die insgesamt 20 neuen Kunstwerke im Reichstagsgebäude, von denen der größte Teil bereits installiert ist, Kosten in Höhe von zusammen acht Millionen Mark anfallen. Dies entspricht dem festgeschriebenen prozentualen Anteil an den Gesamtbaukosten, der für die künstlerische Gestaltung aufgewendet werden muß. Die Aufteilung dieses Betrages auf die jeweiligen Kunstwerke erfolge nicht einheitlich, und die absoluten Beträge seien im übrigen nicht bekannt, so die Auskunft der Pressestelle. Daß der Haacke-Trog nicht ganz billig sein dürfte, lassen die Äußerungen vermuten, wonach der Kunstbeirat sich nunmal dazu entschieden hatte, einen der "international renommiertesten Künstler" zu gewinnen, und "das hat natürlich seinen Preis". Antje Vollmer äußerte dazu vielsagend: "Das ist ein stattlicher Betrag, da können Sie sicher sein."

Unterdessen versucht auch die Pressestelle des Bundestages, die politischen Aussagen in Haackes sechsseitiger Interpretationsschrift, die im übrigen immer noch unter Verschluß gehalten wird, herunterzuspielen. Die Widmung "Der Bevölkerung" sei nur als Ergänzung zur Inschrift auf dem Westportal zu sehen. Im übrigen sei die Interpretation frei und jedem selbst überlassen. So stünden die Abgeordneten auch weiterhin zu der Inschrift über dem Westportal des Reichstagsgebäudes "Dem Deutschen Volke".

Peter Ramsauer nennt die Abgeordneten, die diese Sichtweise teilen und insofern schon gern den Holztrog hätten, aber ohne seine politische Bedeutung, "die ganz Schlauen". Er erkennt, daß alle Abgeordneten, "die ihren Dreck da reinschmeißen", grundsätzlich von der politischen Agitation Haackes vereinnahmt werden, interpretiert dieser doch die Teilnahme der Abgeordneten an seiner "Aktionskunst" explizit als Ausdruck dafür, daß sie sich damit auch "zur Korrektur der nationalistisch exklusiven Parole auf der Fassade des Reichstagsbebäudes bekennen".

Ob der Trog tatsächlich noch abgewendet werden kann, soll sich erst am 25. Januar 2000 entscheiden. Dann soll sich der Kunstbeirat auf Wunsch des Ältestenrates ein weiteres Mal mit dem Thema befassen. Ob es dabei überhaupt zu einer Wiederholung der Abstimmung über das Projekt kommt, ist offen. Sollte es bei der Entscheidung bleiben, so ist geplant, mit den Bauarbeiten zur Installierung des Kunstwerkes unmittelbar nach Ende der Frostperiode zu beginnen.


 
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