© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Italien: Silvio Berlusconi als Herrscher über Medien und Politik
Der Marsch auf Rom
Hans Waitz

Aus den letzten Europawahlen gingen der Medienzar Silvio Berlusconi und seine Partei Forza Italia als deutliche Sieger hervor. Damit glaubt Berlusconi eine optimale Ausgangsposition für die nächsten Parlamentswahlen im Jahre 2001 und eine gute Chance zu haben, zum zweiten Mal Ministerpäsident Italiens zu werden. Dies wäre ein einmaliger Coup: gleichzeitig Beherrscher der Medienlandschaft und Premier seines Landes zu sein.

Wer ist eigentlich Silvio Berlusconi? Und wer steht hinter dem "unaufhaltsamen Aufstieg" dieses angeblichen selfmade man?

Silvio Berlusconi wurde 1936 in Mailand als Sohn eines leitenden Angestellten einer Privatbank geboren. Nach dem Schulabschluß arbeitet er neben dem Jura-Studium an der Mailänder Universität als Verkäufer in einer Baufirma. 1961 schließt Berlusconi mit einer Examensarbeit über die rechtlichen Aspekte der Werbung sein Studium ab.

In den sechziger Jahren wird Berlusconi Bauunternehmer. Undurchsichtig ist die Herkunft seiner finanziellen Mittel: Eine Finanzgesellschaft aus New York (Discount Bank Overseas Limited) mit Filiale in Luxemburg gründet im September 1968 in Lugano (Schweiz) eine Aktiengesellschaft für Residenzen Ag (ab jetzt Aktien genannt), die wahrscheinlich als diskrete Durchlaufstation für Kapitalien unklarer Herkunft dient. Nur zehn Tage später bringt Aktien die Edilnord 2 hervor, das große Baunternehmen von Berlusconi und Co. Aktien, die geheime Gesellschaft aus Lugano, ist also die unerschöpfliche Geldquelle für den Aufstieg von Berlusconi, der in den siebziger Jahren anfängt, Satellitenstädte in der Peripherie Mailands (Centro Edilnord, Milano 2 und Milano 3) zu bauen. Es entsteht innerhalb weniger Jahre "ein dicht gewebtes Netz von Gesellschaften, das sich blitzschnell verändert und von einem Geldfluß aus der Schweiz gespeist wird – um ein Hin und Her von namenlosen römischen Vertrauensleuten, Strohmännern und immensen Bankkrediten", so Ruggeri und Guarino in "Berlusconi. Showmaster der Macht" (Berlin 1994).

Das Kontrollorgan dieser Gesellschaften ist die Fininvest, die im Juni 1978 in Rom als GmbH mit einem Kapital von nur 20 Millionen Lire gegründet wird. Zweck der Fininvest ist die "finanzielle Förderung jeder Art von Initiativen innerhalb von Wirtschafts-, Finanz- und Immobilienunternehmen sowie deren Neugründungen" (Ruggeri u. Guarino).

Berlusconi wird offensichtlich in diesen Jahren zum bevorzugten Referenten geheimer Finanzkreise, die lieber anonym bleiben wollen und denen gegenüber er sich zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet fühlt. Ende der siebziger Jahre ist Berlusconi schon der größte Bauherr Mailands, und er beginnt, "gute Beziehungen" zu Politikern der Christdemokraten (DC) und des PSI und insbesondere zu seinem Patron, dem sozialistischen Parteiführer und späteren Ministerpräsidenten Bettino Craxi, zu knüpfen.

Craxi und sein korrupter Clan werden zum willkommenen Sprungbrett für die neuen Aktivitäten der Firmen von Berlusconi und Co. Von diesem Zeitpunkt an ist Berlusconi nicht mehr zu bremsen. Er baut für 100 Milliarden Lire das Einkaufszentrum Il Girasole südlich von Mailand, für 61 Milliarden Lire kauft er die Bica (Geschäfte und Büros) und steigt in das Projekt eines Feriendorfs auf der Insel Sardinien ein. Zwischen 1977 und 1978 gründet Berlusconi den privaten Fernsehsender Telemilano und erwirbt Anteile an der Aktiengesellschaft der Zeitung Il Giornale nuovo des Starjournalisten Indro Montanelli.

Am 26. Januar 1978 wird Berlusconi Mitglied der geheimen Freimaurerloge P2. Das erst später bekannt gewordene politische Programm der P2 (der zwischen 1975 und 1976 vom Logenmeister Licio Gelli ausgearbeitete "Plan zur demokratischen Wiedergeburt des Landes") sieht unter anderem "die unverzügliche Einrichtung des Kabelfernsehens" vor, das sich "wie ein feinmaschiges Netz auf das Land legen und die öffentliche Meinung kontrollieren" soll (vgl. Ruggeri u. Guarino). Berlusconi bestreitet vehement, engere Beziehungen zur P2 und zu Gelli gepflegt zu haben.

Tatsache ist, daß Berlusconi in wenigen Jahren zum Marktführer im Privatfernsehbereich mit drei Kanälen (Canale 5, Italia 1, Retequattro) und einer starken Position auf dem privaten Werbemarkt wird, während seine Geschäftspartner immer häufiger zwielichtige Gestalten aus dem Umkreis der Geheimloge P2 sind, wie unter anderem der sardische Geschäftsmann Flavio Carboni und Francesco Pazienza, Berater des 1982 ermordeten Bankiers des Banco Ambrosiano, Roberto Calvi. Nach den Aussagen von Berlusconi handelt es sich dabei immer um harmlose und zufällige Kontakte mit ansonsten kaum näher bekannten Geschäftspartnern.

Während Berlusconi faktisch den "Plan" des Logenmeisters Gelli hinsichtlich der Eroberung der Massenmedien realisiert, setzt Craxi, der seit 1976 die Sozialistische Partei "gleichschaltet", seinerseits die Richtlinien der P2 politisch um, indem er mit Erpressung und Korruption anfängt, den Christdemokraten (DC) die Macht im Staatsapparat streitig zu machen. Im August 1983 ist es soweit: Craxi wird der erste "sozialistische" Ministerpräsident Italiens, und es gelingt ihm, seine Amtszeit bis zum Frühjahr 1987 zu verlängern.

Craxi steht an der Spitze einer regelrechten "Räuberbande", bestehend aus Politikern, Geschäftsleuten und Freimauern, die sich in den achtziger Jahren daran machen, das Land gründlich zu plündern. Craxi und Berlusconi werden persönlich und geschäftlich unzertrennlich. Craxi hilft Berlusconi beim Aufbau seines Medienimperiums, indem er ihm unter Mißachtung der Gesetze jedes rechtliche Hindernis aus dem Weg räumt, und Berlusconi bedankt sich, indem er seinen politischen "Ziehvater" (Craxi) mit allen Mitteln – auch finanzieller Art – unterstützt.

Kein Wunder, daß auch kriminelle Organisationen wie die sizilianische Mafia beginnen, sich für Craxi und seinen Clan zu interessieren. Bei den Parlamentswahlen 1987 werden die Stimmen in den lokalen von der Mafia kontrollierten Wahlkreisen auf "willfährige" Kandidaten der sozialistischen Partei kanalisiert.

Berlusconi und Craxi werden zu einem fast unschlagbaren Duett: die linke Opposition ist kaum in der Lage, den Aufstieg der beiden zu bremsen, geschweige denn aufzuhalten. Um die "Gleichschaltung" noch perfekter zu gestalten, schließt Craxi ein Bündnis mit profilierten Vertretern des rechten Flügels der DC (Forlani und Andreotti): Es entsteht eine neue Machtkonstellation (genannt "CAF": Craxi, Andreotti, Forlani), die publizistisch durch Berlusconis Medienimperium flankiert wird. Es sieht zeitweilig so aus, als ob der "CAF" den autoritären "Plan" des Logenmeisters in die Praxis umgesetzt habe. Gleichzeitig versucht Berlusconi durch die Übernahme des italienischen Verlags Mondadori auch die letzten unabhängigen Zeitungen des Landes (Repubblica, L‘Espresso und Panorama) unter seine Kontrolle zu bringen.

Nach einer Reihe juristischer Auseinandersetzungen kann er den Verlag und Panorama behalten. Im August 1990 wird das "Legge Mammi" (so benannt nach dem Urheber der Gesetzesvorlage, damals Minister für Post- und Fernmeldewesen) verabschiedet, das endlich – nach mehrjährigen Verzögerungen – die Vergabe der Fernsehfrequenzen regeln sollte, in Wirklichkeit aber die QuasiMonopolstellung der Fininvest festschreibt. Eine Regelung, die später (1994) selbst das höchste Verfassungsgericht als nicht verfassungsgemäß beurteilt.

Im Frühjahr 1992 bringen die Mailänder Richter den Korruptionsskandal von Tangentopoli (in den Craxi und seine Komplizen verwickelt sind) ans Licht. Craxi wird nach und nach demontiert, die sozialistische Partei wird aufgelöst. Craxi selbst flüchtet nach Tunesien, wo er sich der rechtskräftigen Strafe entziehen kann.

Berlusconi bleibt fest im Sattel, obgleich der populäre Staatsanwalt Di Pietro vergeblich versucht, ihn und die Fininvest unter Anklage zu stellen. Berlusconi selbst und führende Manager seiner Unternehmen werden in mehreren Fällen verurteilt, diese Urteile bleiben jedoch ohne Folgen. Im Gegenteil: im Jahre 1993, als der Stern Craxis endgültig versinkt, beginnt Berlusconi über die Möglichkeit nachzudenken, eine eigene politische Formation zu gründen.

Eine Reihe von Terroranschlägen in Florenz, Mailand und Rom erschüttern in jenem Jahr das Land. Hinter diesen Terrorakten vermutet man die Regie der "Cosa Nostra", die auf die Verhaftung des Mafiabosses Toto Riina (Januar 1993) reagieren und machtvollen Druck auf den Staat ausüben will.

Nach dem Rücktritt Craxis spürt Berlusconi, daß die Zeit gekommen ist, selbst in die Politik einzusteigen. Laut dem Geständnis des "reuigen" Mafia- Verwalters Siino soll die Mafia diesen Plan von Berlusconi unterstützt haben, da sie darin die Möglichkeit sieht, die neue politische Formation mit eigenen Leuten zu unterwandern (L’Espresso vom 1. Juli 1999).

Nach dem Vorbild der konzerneigenen Werbegesellschaft Publitalia wird im Herbst 1993 die Forza Italia gegründet, die dann Ende März 1994 an der Spitze einer Koalition mit der rechtsgerichteten Alleanza nazionale (AN) und der Regionalpartei Lega Nord überraschend die Parlamentswahlen gewinnt. Berlusconi wird zum Ministerpräsidenten und versucht, seine getreuen Diener mit Regierungsämtern zu versorgen, hat aber kein Konzept, um in einem pluralistischen Land wie Italien einen breiten Konsens zu erzielen. Es gelingt ihm nicht, die Regierung nach dem Vorbild seines Unternehmens zu gestalten, so daß innerhalb weniger Monate seine Koalition unter dem Druck seiner Verbündeten (Lega Nord und AN) zerbricht.

Berlusconi tritt im November 1994 als Ministerpräsident zurück, sein früherer Verbündeter, der ehemalige Direktor der Nationalbank Lamberto Dini, wird sein Nachfolger. Bei den Wahlen 1996 gewinnt die Mitte-Links-Koalition knapp die Mehrheit.

Seitdem hat Berlusconi nicht nur aus seinen Niederlagen gelernt, sondern auch seine Position als Oppositionsführer erheblich gestärkt. Nach der amerikanischen Zeitschrift Forbes ist Berlusconi zur Zeit mit einem Privatvermögen von umgerechnet ca. 15 Milliarden Mark an 27. Stelle unter den reichsten Männern der Welt. Mit anderen Worten: der reichste Mann Italiens steht nun gleichzeitig der stärksten Partei des Landes vor, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch die nächsten Parlamentswahlen im Jahre 2001 gewinnen wird.

Berlusconi braucht sich keine Sorgen zu machen: seine Position als Oppositionsführer ist unangefochten, seine Unternehmen (nun zusammengefaßt in der Mega-Holding Mediaset) werfen hohe Gewinne ab, sein Ansehen im Inland sowie auf dem europäischen Parkett ist stark gestiegen; seit kurzem hat sich Forza Italia der EVP im EU-Parlament angeschlossen.

Seinen Problemen mit der italienischen Justiz sieht Silvio Berlusconi mit Gelassenheit entgegen: drei Verurteilungen in erster Instanz haben sein Image kaum angekratzt und seiner politischen Karriere kaum geschadet.

Die Perspektive, daß Berlusconis "Marsch auf Rom" nicht mehr aufzuhalten sei, entwickelt sich für die regierende Mitte-Links-Koalition immer mehr zu einem Alptraum.


 
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