© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Vorabdruck: Texte und Reportagen aus dem Bosnieneinsatz der Bundeswehr
Konservative Tugenden hoch im Kurs
Götz Kubitschek / Peter Felser

Seit gut vier Jahren werden Bundeswehrsoldaten in Bosnien zur Sicherung des Friedens und zur Umsetzung des Vertrags von Dayton eingesetzt. Anfang dieses Jahres kam noch das Kosovo als Einsatzraum dazu. Über 60.000 Soldaten verfügen mittlerweile über Einsatzerfahrung.

Unter dem Titel "Raki am Igman" veröffentlichen nun zwei Offiziere Reportagen und Texte aus dem Bosnieneinsatz. Götz Kubitschek (29) leitete 1994/95 das Ressort "Sicherheit und Militär" in der JUNGEN FREIHEIT. In Bosnien führte er als Reservist einen Taktischen OpInfo-Zug und war dafür zuständig, die bosnische Bevölkerung über Maßnahmen und Vorhaben der Friedenstruppe zu informieren. Peter Felser (30) betreute als Redakteur des Lagerradios das deutschen Kontingent in Sarajevo und begleitete als Reporter viele Einsatzfahrten. Die JUNGE FREIHEIT bringt in einem Vorabdruck Auszüge aus dem Vorwort und dem Jünger-Kapitel.

 

Der Ruf der deutschen Soldaten in Bosnien ist hervorragend. Das hat nichts mit alter Waffenbruderschaft zu tun: Die zuverlässige, pünktliche Arbeit der Bundeswehr, ihre wirkungsvolle und trotzdem zurückhaltende Tätigkeit, hat selbst im serbischen Gebiet großes Vertrauen geschaffen.

Vermutlich werden sich Leute diesen Erfolg als Verdienst anrechnen, die überhaupt nichts dazugetan haben: Denn die gute Haltung der deutschen Soldaten ist nicht das Ergebnis der Inneren Führung. Hier wirkt eine andere Substanz. Vermutlich ist es doch eine Frage der Mentalität, begonnene Arbeiten zuverlässig und im Hinblick auf Beständigkeit durchzuführen. Aber auch der Einsatz selbst wirkt, er erzieht die Soldaten nachhaltiger als jeder Heimatdienst.

Die Erziehung beginnt mit dem Zwang zur Kameradschaft: Monatelang leben die Soldaten auf ihren Stuben zusammen, keiner kann abends den Autoschlüssel herumdrehen und sich in eigene vier Wände zurückziehen. Für jedes Problem muß eine Lösung gefunden werden, die Lösung des Ausweichens steht nicht mehr zur Verfügung. So schärft sich der Blick für den Typ Soldat, der Verantwortung übernehmen und tragen kann: indem er hält, was er zusagt.

Innerhalb weniger Wochen zeigt sich, auf welchen Vorgesetzten Verlaß ist. Offiziere, die Wasser predigen und Wein trinken, sind vor den Augen der Truppe gründlicher erledigt als im Heimatstandort. Bessere Lehrbeispiele für den Unterschied zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik kann man sich nicht wünschen.

Nüchternheit: Das ist ein Schlüsselbegriff. Die meisten Soldaten haben nicht mehr viel übrig für Ausreden, Entschuldigungen oder unhaltbare Versprechungen. Wer immer wieder davon philosophiert, man könnte eventuell schon bald auch mit der halben Anstrengung auskommen, tut sich keinen Gefallen. Realitätssinn ist gefragt. Dies gilt auch im Hinblick auf die politische Großwetterlage: Vielleicht kann nur ein westliches Friedensgehirn auf die Idee kommen, daß nach einem brutalen Bürgerkrieg der Zwang zum Miteinander, die Haustür-an-Haustür-Existenz ehemaliger Todfeinde der richtige Weg sei. Nach ein paar Wochen Ortsbegehung sind die meisten Soldaten reif für eine realpolitische Wende: Blick auf das Machbare, Utopien ad acta. Die Darstellung der Situation in den deutschen Medien leistet ein Übriges. Dann tauchen abends auf den Stuben oder im Kompaniekeller die Fragen auf, was "wir" hier eigentlich zu suchen haben.

Solche Stubengespräche unterscheiden sich von dem, was ein Soldat (selbst im Rang eines Oberstleutnants) in ein Mikrophon sagt oder vor Vorgesetzten referiert. Die Konditionierung ist in solchen Fragen weit gediehen.

Die Gesellschaft, als deren Spiegelbild die Bundeswehr im Balkan steht, ahnt vielleicht gar nicht, wie sehr der Einsatz ihre jungen Männer verändert. Denn es sind die konservativen Tugenden, die hier hoch im Kurs stehen: Neben Verantwortungsethik und realpolitischem Blick ist vor allem Verläßlichkeit gefragt, nicht nur unter Kameraden, sondern vor allem auch im Blick auf zu Hause. Das, was die meisten schlaucht, sind nicht der Dienst oder sexuelle Enthaltsamkeit, sondern fehlende Feldpost, Mißtrauen in die Freundin oder Scheidung mitten im Einsatz. Konservative Besinnung also, Halt, Stabilität, Leistungsbereitschaft.

Die 20 Reportagen und Texte, die in diesem Band zusammengestellt sind, kreisen um solche Erfahrungen. Sie verfolgen einzelne Situationen, erhellen die Szene, ohne sie restlos auszuleuchten. Der rote Faden verläuft dort, wo eine Armee auch im Kopf wieder soldatisch sein muß, obwohl sie es nicht mehr sein soll oder darf. Hier entstehen Scheren, schizophrene Bilder. Manchmal hilft nur die Ironie.

Jedoch ist alles wahr, was hier steht: Das, was die Reportagen beschreiben, ist wirklich so geschehen. In den Texten ist die Wirklichkeit bisweilen überzeichnet, sozusagen auf den Punkt gebracht. Gerade deswegen sind sie wahr. Das ist ein feiner Unterschied.

Der Herr im Eignen –
Jünger als Stolperstein

Tags darauf wurde Riebach zum Kompaniechef befohlen. Hauptmann Jäger war aufgebracht und wies Riebach einen Stuhl. "Der Rechtsberater des Generals sprach mich heute morgen an. Er mißbilligt Ihren Jüngerabend und hat bereits dem General vorgetragen. Ich soll Sie jetzt dazu vernehmen. Riebach, warum haben Sie nicht auf meine Bedenken gehört?"

"Auf welche Bedenken? Umstritten ist alles, das kann Ihre Bedenken nicht begründet haben. Sie hatten eher Bedenken vor dem Unzeitgemäßen an sich. Ich werde den Rechtsberater aufsuchen."

Nachdem Riebach einige Fragen des Hauptmanns beantwortet hatte, die sich auf den Teilnehmerkreis und die ausgewählten Textstellen bezogen, ging er ins Stabsgebäude und meldete sich beim Rechtsberater, einem Oberstleutnant, der seinen Rang nicht innerhalb einer militärischen Laufbahn, sondern als studierter Jurist seiner Gehaltsstufe gemäß erhalten hatte. Mit einer kurzen Handbewegung wies er auf einen Stuhl, bearbeitete noch einige Zeit eine Akte, legte dann den Stift beiseite und lehnte sich zurück.

"Herr Oberleutnant", begann er, "ich war empört, als ich Ihre Ankündigung zu einer Jüngerlesung entdeckte. Wie unsensibel Sie sind, in einer so gespannten politischen Lage solche Dinge zu treiben! Erst neulich hatten wir mit Fällen von Ausländerbeschimpfung zu tun. Wie können Sie so instinktlos sein?"

Schon nach einer halben Minute frage ich mich, warum ich hier sitze, dachte Riebach. Warum muß ich Antworten geben auf Fragen, die gar nicht gestellt werden dürften? In dieser Art von Frage liegt eine Mechanik: Alles, was vermeintlich rechts von einer irgendwie festgelegten Mitte liegt, ist suspekt. Alles Suspekte läßt sich miteinander verrühren, dabei verschwinden die Unterschiede. Was hat Jünger mit der Beschimpfung von Ausländern zu schaffen? Das sollte ich fragen.

"Können Sie mir erklären, was Sie mir vorwerfen? Ich las aus einem Werk Ernst Jüngers vor, er ist vor ein paar Tagen verstorben. Was stört Sie daran?"

"Sie können in einer Zeit, in der die Bundeswehr scharf beobachtet wird, keine Lesungen über Schriftsteller veranstalten, die antidemokratisch dachten. Sie haben des weiteren ein Buch gewählt, das den Krieg verherrlicht. Sie überschreiten Ihre Kompetenzen."

"Für die Augen irgendwelcher Gegner jeder Armee kann ich nichts, sie stören mich auch nicht, nur insofern als sie bei manchen Soldaten panikartige Reflexe hervorzurufen scheinen. Antidemokratisch? Ja, das war der junge Jünger wohl, wahrscheinlich auch der ältere, aber das waren auch Thomas Mann und Bertolt Brecht. Als den Krieg verherrlichend kann jemand die ’Stahlgewitter‘ nur bezeichnen, wenn er nichts für Tapferkeit oder Pflichtauffassung übrig hat. Suspekt an diesem Buch erscheint vermutlich, daß in ihm kein Gejammer zu hören ist. Ist das verdächtig? Verdächtig ist dann auch, daß Jünger nicht mit dem Gedanken an Desertion gespielt hat."

Riebach hatte sich nach vorn gebeugt. Ich rede zuviel, dachte er. Warum verteidige ich mich überhaupt? Oder habe ich meinem Gegner nur gezeigt, daß sein Angriff keiner war? Bitterkeit stieg in Riebach auf, dieselbe, die er vor zwei Tagen auf seinem abendlichen Gang geschmeckt hatte. Aber gleichzeitig mußte er ein Lachen unterdrücken.

"Sie werden zugeben müssen, daß Ihre Lektüre schlecht zum Zeitpunkt paßt. Ich habe dem General vorgetragen, er teilt meine Meinung."

"Er hat meine Meinung noch nicht gehört. Sie haben vorgetragen, ohne mich vorher zu irgend etwas zu befragen. Sie wissen beispielsweise nicht, welche Stellen ich ausgesucht und vorgetragen habe. Auch haben Sie meinen Kommentar zu den Lesestücken nicht gehört, waren nicht dabei, als ich mich mit den Teilnehmern über Ernst Jünger unterhielt. Sie konnten nicht einmal wissen, ob die Lesung überhaupt stattgefunden hatte oder ob sie aus Mangel an Beteiligung abgesagt worden war. Im übrigen studiere ich Germanistik und schreibe über den Bruder Friedrich Georg Jünger eine Arbeit." Schon wieder zuviele Worte, dachte Riebach gleich, nachdem er geendet hatte. Warum sollte Ernst Jünger seinen Bruder oder mein Germanistikstudium als Bürgen benötigen? Nicht nur Germanisten entscheiden darüber, was gelesen werden darf und was nicht. Das ist ein Glück. Wieder unterdrückte Riebach ein Lachen.

"Ich will Ihnen nichts unterstellen", beschwichtigte der Rechtsberater. "Ich möchte nur, daß Sie meine Situation verstehen. Ich habe den General darin zu beraten, wie er möglichen Angriffen der Presse auf unsere Armee begegnen könnte. Die gehen vor wie die alten Römer, mit Rammböcken und so weiter. Sie lesen doch auch die Zeitung, oder?"

"Gehört zu Ihrer Arbeit auch, mögliche Angriffspunkte auszumerzen, Herr Oberstleutnant? Auf den Fall Jünger bezogen hieße das: Sie helfen einem Gegner dabei, Gedankenfreiheit auszuhöhlen."

"Machen Sie keinen Elefanten aus der Sache."

"Ich war nicht beim General."

"Ich werde dem General erneut vortragen. Er erwartet meinen Bericht. Ich bitte Sie um eine schriftliche Stellungnahme. Schreiben Sie, Sie seien Germanistikstudent. Falls die Presse Wind von der Geschichte bekommt, sollten wir Ihre Aussage vorlegen können. Ich sehe ja nun, daß die Sache harmlos ist."

Eigentlich geht es um etwas Grundsätzliches, dachte Riebach. Aber das versteht er nicht; vielleicht, weil er noch nie darüber nachgedacht hat. Vielleicht, weil seine Lektüre geruchlos ist. Sein Denken gleitet ohne Widerstand durch den Tag, er sieht keine Lücken, spürt keinen Mangel, empfindet keine Bitterkeit. Er sieht ein Konto anschwellen und einen Urlaub näherkommen. Er schmiert sich vor einer Tagesreise drei Butterbrote und packt einen Regenschirm ein. Er ist ein harmloser Mann.

"Nun, Herr Oberleutnant? Schaffen Sie den Bericht noch vor dem Mittagessen? Dann können wir die Sache abschließen. Mir fällt auch ein, was Sie noch dazuschreiben könnten: Wir haben den Kanzler auf unserer Seite! Kohl besuchte Jünger zum hundertsten Geburtstag."

"Herr Oberstleutnant, ich bitte Sie, jeden von der Zulässigkeit meiner Lesung zu informieren, der von Ihnen anderslautende Gerüchte vernommen haben sollte. Den Bericht erhalten Sie noch vor dem Essen. Im übrigen möchte ich noch erwähnen, daß ich weder Brecht, noch Mann, noch den Kanzler brauche, um sorgenfrei schlafen zu können – und vor allem nicht, um einen Schriftsteller lesen zu dürfen."

"Warum mußte das zuletzt noch sein?" fragte Kramer später. "Warum überspannst Du den Bogen immer?"

"Das weißt Du genauso gut wie ich. Es hilft gegen Zynismus und Bitterkeit. Bittere Erfahrungen, die nicht hin und wieder ausgespuckt werden, machen zynisch."

"Du hast Dir damit aber einen Gegner geschaffen."

"Er war es sowieso. Jetzt weiß er es wenigstens."

 

Götz Kubitschek, Peter Felser: Raki am Igman. Zwanzig Texte und Reportagen aus dem Bosnieneinsatz der Bundeswehr. 150 S., kart, 24 Mark. Bezug: Medienagentur w / k / & / f, edition die lanze, Postfach 1105, 89555 Steinheim


 
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