© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Pankraz,
R. Malinowski und die Wut auf die Lockspitzel

Deutschlands Undercover-Agenten (V-Männer, Lockspitzel, agents provocateurs) sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Ihre von ihnen zu Straftaten angestifteten Opfer müssen nicht, wie vergleichbare Opfer in anderen europäischen Ländern, außer Verfolgung gesetzt und für erlittene Unbill entschädigt werden, sondern dürfen (nach einem jetzt ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts) weiterhin mit Strafen belegt werden, wenn auch nur mit "Strafen im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens".

Immerhin, der Anfang vom Ende der Lockspitzelei und Tat-Provoziererei ist da. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat eindeutig gegen das Undercover-Unwesen Stellung bezogen und kann mit besten Erfolgsaussichten gegen deutsche Gerichtsentscheide angerufen werden. Jeder gerecht Denkende kann das nur begrüßen. Denn was die Lockspitzel bei uns, besonders in der Politik, anrichten, hat schon lange skandalöse Ausmaße erreicht. Keine Fernseh-Verklärung der angeblich so tapferen, so romantischen "Undercoverer" kann darüber hinwegtäuschen.

Man erinnere sich an den Brandstiftungsfall vor einigen Jahren in Solingen, einen für die "Arbeit" deutscher V-Männer durchaus typischen Fall. Einige tumbe jugendliche Glatzenträger, die irgendwie ihren Frust abreagieren wollten, wurden damals von einem V-Mann, der dafür eigens eine "Wehrsportschule" gegründet hatte, systematisch aufgemischt, mit hetzerischen Parolen versorgt, ganz bewußt zu übelsten Straftaten angeleitet. Schließlich gab es Tote im kurdischen Asylantenheim, die jugendlichen Täter verschwanden für Jahrzehnte im Knast, dem "erfolgreichen" V-Mann jedoch passierte nichts. Wahrscheinlich hat er sogar eine goldene Uhr und eine Gehaltserhöhung gekriegt, wie früher die nicht minder "erfolgreichen" Mauerschützen in der DDR. Solche Praktiken schreien zum Himmel.

Es sind in der Tat Praktiken aus der übelsten Kiste totalitärer Systeme und Parteien. So wie der agent provocateur vom NRW-Verfassungsschutz seine "Wehrsportschule", so gründeten seinerzeit im Auftrag der Stasi Anderson und Schid-lowski im Prenzlauer Berg ihre "Dichterschulen". Und im vorrevolutionären Rußland um 1910 stieg ein Mann namens Roman Malinowski zum führenden Kommunisten, zum "zweiten Mann gleich hinter Lenin" auf und leitete jahrelang die bolschewikische Duma-Fraktion – er war aber ein V-Mann der zaristischen Geheimpolizei Ochrana; nach 1917 kam alles heraus, und Malinowski wurde in der Lubjanka bei lebendigem Leibe enthäutet und in Stücke geschnitten.

An sich war dieser Malinowski der erfolgreichste Undercover-Agent, der je gelebt hat; an ihm zeigte sich die ganze Hybris dieses dubiosen Berufszweigs. Alles, was er im Leninschen Exekutivkomitee und in der Duma vorbrachte, war mit der Ochrana abgesprochen, die Ochrana hatte durch ihn einen ungeheuren Einfluß auf die Entscheidungen der Revolutionäre, konnte sie beliebig ins Messer laufen lassen. Andererseits war sie ihrerseits sehr von Malinowski abhängig, und der trug bald, wie Solschenizyn glaubhaft dargelegt hat, auf zwei Schultern, provozierte mit Lust sowohl Revolutionäre wie Ochrana.

Natürlich werden bei den meisten Lockspitzeln wesentlich kleinere Brötchen gebacken, zumal das Gros von ihnen nicht in der Politik, sondern in der Hehlerei und im Rauschgifthandel tätig ist. Der Fall, um den es jetzt beim Bundesverfassungsgericht ging, drehte sich um einen italienischen Geschäftsmann, über den die Polizei an gewisse Händlerringe heranzukommen hoffte.

Als lieber Geschäftsfreund getarnt, bat ihn der V-Mann um eine Lieferung, doch der Italiener weigerte sich, versicherte vehement, er habe nie etwas "mit solchen Sachen" zu tun gehabt und wolle auch nichts damit zu tun haben. Der V-Mann bat nochmals und nochmals und immer noch einmal – da endlich wurde der Angeflehte weich und brachte mit Ach und Krach und um viele Ecken herum die gewünschte Lieferung zustande. Er bekam vier Jahre, obwohl selbst das Gericht einräumte, daß er sich nur aus reiner Gefälligkeit für den "Geschäftsfreund" abgestrampelt hatte.

Jeder Leser des Urteils fragt sich kopfschüttelnd, von welchen moralischen Grundsätzen sich die Ermittler hierzulande leiten lassen. Mag sein, sie sind durch ihre Operation an irgendwelche Quellen herangekommen, doch zu welchem Preis? Zumindest die eine Stelle, der verurteilte Italiener, ist durch die Operation offenbar erst wirklich kriminalisiert worden, der V-Mann drang nicht heldenmütig in ein kriminelles Milieu ein, sondern hat von sich aus ein kriminelles Milieu geschaffen, das heißt, er ist der eigentliche Unhold.

Bei dem V-Mann mit der Wehrsportschule liegen die Dinge noch schlimmer. Man denke: Der Mann baut nicht nur ein kriminelles Milieu auf, sondern er träufelt mit voller Absicht Gift in die Seelen gefährdeter junger Leute, lädt sie mit brutalem Jargon auf, legt verquere Schußfolgerungen nahe, wobei er, ein umgekehrter Sokrates, schlau an möglicherweise schon vorhandene Anlagen anknüpft, Hebammenkunst übt, aber nicht um das Gute, sondern um das Böse herauszukitzeln. Und wozu das Ganze? Angeblich um "faschistische Strukturen" freizulegen. Doch freigelegt wird nichts, sondern ein Asylantenheim geht in Flammen auf.

Gottseidank, kann man da nur sagen, daß es einen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gibt und daß der neuerdings in Sachen Undercover-Agenten aktiv wird. Daß sich ein Menschenrecht auf Freiheit vom Bespitzeltwerden einfordern läßt, ist wohl eher unwahrscheinlich, aber ein Menschenrecht auf Freiheit von Tatnötigung, Tat-Provokation müßte doch zu entdecken sein. Wenn dabei als Nebenwirkung abfiele, daß die vielen Fernsehspiele mit den tollkühnen Undercover-Agenten allmählich vom Bildschirm verschwinden, wäre das ebenfalls zu begrüßen.


 
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