© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Tobias Wimbauer: Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers
Eine notwendige Handreichung
Michael Meyer

Das Werk des am 17. Februar 1998 verstorbenen Ernst Jünger ist im besten Wortsinn herausragend. Es ragt aus sämtlichen Zeitströmungen heraus, ignoriert den etablierten Literaturbetrieb, unterläßt die modisch-opportunistische Erwähnung von Kollegen und Politikern und bedient sich einer Sprache, die allenthalben als "kalt" und "überholt" verunglimpft worden ist.

Vermutlich wird in Deutschland erst in Jahrzehnten deutlich werden, wie weit Jünger seinen jeweiligen Zeiten wirklich voraus gewesen ist. So schrieb er in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als direkt Beteiligter Reflexions-Bücher über das ungeheuerliche gegenseitige Abschlachten, um wenige Meter Boden zu gewinnen, die ob ihrer mentalen Perzeption im durch das Versailler Friedensdiktat erdrückten Deutschland nur fremdartig wirken konnten.

Die erste Fassung von "Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht" (1929) stellte etwas völlig Neuartiges in der deutschen Literatur dar: Es sollte eines der wenigen surrealistischen Bücher in Deutschland überhaupt bleiben. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Als letztes Beispiel sei nur "Annäherungen. Drogen und Rausch" (1970) genannt, in dem er seine LSD-Erfahrungen schildert. Spießbürger, die bisher versuchten, Ernst Jünger für ihren Perwoll-Konservatismus zu vereinnahmen, unterstellten dem großen Doyen der deutschen Dichtung, er wolle die deutsche Jugend zum Drogenmißbrauch verleiten.

Doch das Jüngersche Œvre ist ebenso umfang- wie facettenreich. Die von Ernst Jünger veröffentlichten (einschließlich der von ihm herausgegebenen) Bücher umfassen knapp 100 Erstausgaben. Bereits zu Lebzeiten erschienen zwei Werkausgaben. Damit hatte der 1895 Geborene quasi mit seinem großen Vorbild Goethe gleichgezogen. Die zweite Gesamtausgabe, die achtzehnbändigen "Sämtliche Werke", wird gerade durch vier Supplementbände ergänzt. Allein die Tagebücher Jüngers füllen in Buchform mehrere tausend Seiten. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, vergegenwärtigt man sich, daß der Autor fast 70 Jahre lang Tagebuch führte.

Sowohl für Jünger als Autoren wie auch für Jünger als Leser war die literarische Form des Tagebuchs sein Leben lang ein wichtiger Begleiter. Immer wieder erwähnt er bestimmte Tagebuchschreiber in seinen eigenen Aufzeichnungen. Unter dem Datum des 21. Juli 1979 notiert der 84jährige: "Ein umfangreiches Tagebuch – wie etwa jene von Gide, Léautaud, Léon Bloy, Julien Green, Hebbel, Grillparzer, Barrès und anderen – läßt sich auch lesen wie ein Lexikon, von dem man ein beliebiges Blatt aufschlägt. Man stößt auf Gedanken, Erlebnisse, Stimmungen, auch Zusprüche von ganz persönlichem Bezug, wie in den ‘Losungen’. Man öffnet eine Flaschenpost an einen unbekannten Empfänger, eine Mitteilung für Nachgeborene. Ein unbestimmtes Fernweh findet hier sein Echo; Stendhal war sich dieser Wirkung bewußt."

Dem 23jährigen Tobias Wimbauer ist nun ein erstmaliger wissenschaftlicher Zugriff auf dieses große Tagebuchwerk Ernst Jüngers zu verdanken. Der Freiburger Jünger-Forscher und Sammler hat in jahrelanger Komplett-Lektüre ein "Personenregister der Tagebücher Jüngers" erstellt. Das Buch, das gerade im Freiburger Rombach-Verlag erschienen ist, enthält sämtliche von Jünger in allen seinen Tagebüchern erwähnten Personen. Als Tagebücher ausgewertet hat Wimbauer all diejenigen Bücher, die Jünger als Tagebücher veröffentlicht hat, also beispielsweise nicht "In Stahlgewittern", das ja auch aus Aufzeichnungen im Schützengraben hervorging, aber eben nicht in diaristischer Form von Jünger veröffentlicht wurde.

Wimbauer, Student der Germanistik und Philosophie, hat sich nach eigener Auskunft mehrere Jahre lang die Mühe gemacht, nicht nur alle Tagebücher Ernst Jüngers nach erwähnten Personen zu durchforsten. Er hat darüber hinaus auch sämtliche jemals publizierten Fassungen berücksichtigt. Durch das Parallellesen der Überarbeitungen enthält das Verzeichnis einige Überraschungen bezüglich der von Jünger so gern gewählten Decknamen. So ist es dem Jünger-Enthusiasten gelungen, zu enttarnen, daß es sich bei "Mme. Dancart", "Charmille", "Camilla", "Doctoresse" und "Mme. d´Armenonville" um ein und dieselbe Frau handelt. Jünger beschrieb damit jeweils seine gute Freundin Sophie Ravoux. Das Verzeichnis erhebt Anspruch auf Vollständigkeit, und das macht es – auch für wissenschaftliche Zwecke – so interessant. Denn alle Menschen, die dem Schriftsteller wichtig waren, wurden von ihm auch mit Tagebuch-Eintragungen "bedacht". Man könnte vielleicht noch weitergehend sogar eine Art von Rangliste machen: Um so häufiger jemand genannt wird, desto wichtiger war er/sie für Jünger.

Das Verzeichnis schließt eine Lücke in der so umfangreichen Jünger-Literatur. Es ist ein absolutes Muß für die immer größer werdende Schar derer, die sich mit Ernst Jünger intensiv auseinandersetzen. Tobias Wimbauer ist für diese sorgfältige Fleißarbeit gar nicht genug zu danken.

 

Tobias Wimbauer: Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers. Rombach Verlag, Freiburg 1999, 296 Seiten, 98 Mark


 
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