© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Theater: Illustre Gäste beim "Zweiten Großen Kameradschaftsabend" von Schlingensief
Neue Rechte, oder?
Arne Schimmer

Der junge Mann auf der Bühne mit den strubbeligen, blond gefärbten Haaren könnte mit ein bißchen Phantasie als zwanzig Jahre jüngere Ausgabe seines Chefs Schlingensief durchgehen. Er hält ein Megaphon in den Händen und skandiert immer wieder: "Keine Gewalt, keine Gewalt". Zur Begründung seiner Forderung an das Publikum erklärt er: "Herr Mahler und Herr Rabehl haben deutlich gemacht, daß sie Gewalt gegen ihre Personen nicht dulden werden."

Der einzige Schönheitsfehler in dieser Aussage ist wohl, daß Bernd Rabehl an diesem Montagabend an der Volksbühne gar nicht anwesend ist. Nichtsdestotrotz findet mein Nachbar im ausverkauften "Großen Haus" alles wahnsinnig aufregend. "Kommen heute echte Neonazis?" fragt er mich sensationsheischend, um danach seiner Hoffnung auf eine Saalschlacht Ausdruck zu verleihen. "Der Mahler ist doch Neue Rechte, oder?" fragt er mich nochmal, doch ich kann ihn nur mit der Auskunft abspeisen, nicht zu wissen, ob Mahler nun "Neue" oder "Alte" Rechte sei.

Der Theaterregisseur Christoph Schlingensief hat 60 mehr oder weniger prominente Gäste an die Berliner Volksbühne geladen, um mit ihnen sein Projekt "Deutschlandsuche ’99" fortzusetzen, das er vor sechs Wochen am Hamburger Schauspielhaus begann. Damals hatten Horst Mahler und Reinhold Oberlercher relativ lang vor einem verblüfften Publikum über ihre Ansichten und Ziele referiert. Heute wird der "Zweite Große Kameradschaftsabend" in größerem Kreis fortgesetzt.

Jeder Gast darf sich und sein Thema kurz auf der Bühne vorstellen und frei von der Leber weg eine Minute lang reden , was immerhin ein Ausmaß an Meinungsfreiheit darstellt, das man schon nicht mehr für möglich gehalten hätte. Der Historiker Dieter Schmidt-Neuhaus, der mit seinen Nachforschungen dazu beigetragen hat, daß Reemtsmas Wehrmachtsausstellung aus dem Verkehr gezogen wurde, hat sich "die Wahrheit" als sein Thema ausgewählt: "Singulär sind nicht die deutschen Verbrechen, singulär ist die Dummheit, mit der die Deutschen auf ihrer einzigartigen Schuld beharren".

Der junge Autor Benjamin Stuckrad-Barré läßt verlauten, daß sein Thema und Ziel die "endgültige Abschaffung der Ironie" sei.

Rainer Langhans absolviert seinen Auftritt in einem weißen Kostüm. Er sagt nichts, außer: "Mein Thema ist das Nichts." Auch sonst macht er einen ziemlich verwirrten Eindruck.

Dann kommt Horst Mahler im blauen Jackett lässig die Treppe zur Bühne hinuntergeschlendert. Einen Mangel an Courage kann man ihm nicht vorwerfen. Noch eine Woche zuvor hatte Mahler den Antifa-Treff "ExZess" in Frankfurt besucht, dort Prügel bezogen und dann seinen "lieben Schlägern vom Café "Exzess" in einem offenen Brief geantwortet. In der Volksbühne bleibt es heute bei verbalen Mißfallenskundgebungen, so daß Mahlers Aussage kaum zu verstehen ist: "Wir träumen im Spiegel des Rechts und Links, obwohl unser gemeinsamer Feind der Globalismus ist".

Die kurze Redezeit der Gäste läßt die Veranstaltung als wirres und abgehacktes Stakkato der Meinungen erscheinen, die alle um Aufmerksamkeit buhlen; als vielstimmigen Chor, der den richtigen Ton nicht trifft. Es springt ab und zu nur etwas Situationskomik heraus. Als Schlingensief dann nach anderthalb Stunden die Musik laut aufdreht, kann man kein Wort mehr verstehen. Ich frage mich, wofür um alles in der Welt ich eigentlich zwölf Mark Eintritt bezahlt habe.

Auf der Bühne latscht desorientiert der Spiegel-Journalist Hendryk M. Broder herum, ohne irgend etwas zu sagen, was wohl noch das Vernünftigste ist, was er tun kann. Ein Schröder-Double kaspert über die Bühne, lehnt sich gefährlich weit über einen der höheren Ränge und brüllt: "Mein Thema ist der Verrat", um dann unter spastischen Zuckungen zusammenzubrechen und den Sterbenden zu spielen.

Nach einer geschlagenen halben Stunde wird endlich wieder die Musik leisergestellt. Rüdiger Nehberg gibt bekannt, daß er mit einem 20 Meter langen Einbaum über den Atlantik fahren will, um die 500-Jahr-Feier Brasiliens zu stören. Soso.

Am verhältnismäßig interessantesten sind jetzt noch die Diskussionen zwischen den Gästen im Bereich hinter der Bühne, der von Schlingensief als "das Lager" bezeichnet wird und für die Besucher an diesem Abend einsehbar ist. Horst Mahler und die ehemalige Sozialministerin in Brandenburg, Regine Hildebrandt, führen einen witzigen Dialog. Mahler: "Wir müssen uns ruhig austauschen und den gemeinsamen Feind bezeichnen. Der gemeinsame Feind ist das kapitalistische, imperialistische und globalistische System, das die Völker vernichtet". Daraufhin Regine Hildebrandt: "Wenn wir sehen, daß Schulklassen aus Berlin, in denen ein Farbiger ist, sich nicht mehr trauen, nach Rheinsberg zu fahren, weil sie Angst haben, verprügelt zu werden, dann muß sowas bekämpft werden. (…) Ich geh’ jetzt gleich."

Der ehemalige DDR-Professor für Marxismus-Leninismus und heutige NPD-Vorzeigeintellektuelle Michael Nier fragt Regine Hildebrandt, ob sie sich bewußt sei, daß sie in ihrem Amt nur Entscheidungskosmetik vornehmen habe dürfen, während die wahren Entscheidungsbefugnisse beim Großkapital lägen. Auch das bessert die Laune von Frau Hildebrandt nicht.

Die Ausführungen der Antifa-Fraktion werden immer wirrer. Käthe Reichel unterstellt Mahler und Oberlercher, einen Reichsarbeitsdienst ins Leben rufen zu wollen, in dem die "rechten jungen Märtyrer" 25 Pfennig pro Stunde verdienen, "wenn ihnen Rot-Grün nicht zuvorkommt".

Benjamin Kuhlbrodt von der Jungle World doziert: "Wir sind nicht in der Heimat, wir sind an der Front... Deshalb: Gewalt gegen Menschen, Gewalt gegen Nazi-Gesinnung". Schlingensief hätte dazu gerne die Meinung von Mahler und Oberlercher gehört, doch die sind nicht mehr aufzutreiben. "Wo sind die denn hin, sind die heim ins Vierte Reich?" fragt sich Schlingensief.

Ich bin zwar als JF-Korrespondent quasi dienstlich hier, doch mein Bedarf an Schwachsinn ist gedeckt und ich fühle mich feierabendreif. Genauso beknackt hatte ich mir Theater à la Schlingensief immer vorgestellt. Alexander Kluge will für seine Kultursendung "dctp" an diesem Abend fünf Stunden Material drehen, das dann in der Nacht vom 10. Dezember auf Sat 1 von ein Uhr bis sechs Uhr gezeigt werden soll.

Auf der Rückfahrt in der U-Bahn grüble ich noch lange darüber nach, ob es tatsächlich Menschen gibt, die bescheuert genug sind, sich den Krampf in voller Länge anzusehen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen