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Spendenaffäre: Schmiergelder, Selbstbedienung, Steuerhinterziehung, Schwarze Konten
Das System Kohl kippt
Dieter Stein

Die Demontage des Reichstages hat Symbolcharakter angesichts der sich ausweitenden Spendenaffäre. Die geschichtsvergessene Umwidmung des Gebäudes, in dem der Deutsche Bundestag in Berlin residiert, bekommt plötzlich unfreiwillig einen neuen Sinn. "Dem Deutschen Volke" verpflichtet die Abgeordneten als Volksvertreter einem konkreten Souverän, von dem sie zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihre Arbeit nicht ordentlich machen. Sich nur einer beliebig interpretierbaren "Bevölkerung" gegenüber verantworten zu müssen, erleichtert die Arbeit einer offenbar verantwortungslosen politischen Klasse erheblich.

Inzwischen überbieten sich Politiker mit gegenseitigen Bestechungsvorwürfen. Guido Westerwelle, FDP-Generalsekretär, erklärt, der Waffenhändler Schreiber habe SPD-Politikern bei Flugreisen Bargeld in die Hand gedrückt. Weiterhin hätten "maßgebliche Kräfte im Bundestag" von Zahlungen profitiert, insbesondere Amtsträger im Haushalts- und Verteidigungsausschuß. Die FDP fordert deshalb, alle Parteien und Fraktionen darauf zu überprüfen, ob Spenden oder Zuwendungen zu gewünschtem Verhalten geführt hätten – kurz, ob geschmiert wurde. Nach den Behauptungen der FDP soll der derzeitige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Helmut Wieczorek, der neben seinem Bundestagsmandat bis 1994 beim Rüstungskonzern Thyssen beschäftigt war, gute Beziehungen zum Waffenhändler Schreiber unterhalten haben.

Auf einer Präsidiumssitzung am vergangenen Dienstag räumte Kohl nun ein, daß unter ihm "getrennte Kon-ten" gab, von denen Zuweisungen an Gliederungen der Partei abgewickelt wurden. Er habe die "vertrauliche Behandlungen" dieser Zuweisungen für notwendig erachtet. Zwar wies Kohl den Vorwurf zurück, politische Entscheidungen seien unter ihm in Bonn käuflich gewesen, offen ließ er jedoch die Frage, inwieweit er durch "vertrauliche Zuwendungen" an ihm opportune Gliederungen der Partei die CDU gefügig machte.

Der zunächst als "Affäre Kiep" begonnene und nun sich täglich ausweitende Spenden- und Bestechungsskandal droht alle traditionellen Bonner Parteien zu erfassen. Angesichts der zunehmenden Unübersichtlichkeit der Affäre lohnt eine kurze Rückblende:

Am 5. November stellt sich der wegen Verdachts der Steuerhinterziehung von der Augsburger Staatsanwaltschaft mit Haftbefehl gesuchte CDU-Ex-Bundesschatzmeister Walther Leisler Kiep der Justiz. Er erklärt, die am 26. August 1991 vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber in einem Koffer bar in der Schweiz übergebene Million sei als Parteispende an die CDU gegangen. Gegen 500.000 Mark Kaution kommt Kiep auf freien Fuß.

Helmut Kohl, Altbundeskanzler und CDU-Ehrenvorsitzender, entgegnet einen Tag später, er habe keine Kenntnis von einer Spende dieser Art. Der frühere CDU-Generalbevollmächtigte Uwe Lüthje erklärt am 12. November, von Kiep 370.000 Mark der Schreiber-Million als Anerkennung seiner Leistungen erhalten zu haben.

Zeitungen berichten am 17. November erstmals über "Schwarze Konten" bei der CDU, auf die die Geschäftsführung der Partei keinen direkten Zugriff hatte. Die CDU dementiert. Kohl weist den Vorwurf von Schmiergeldzahlungen am 21. November im Zusammenhang mit der Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien zurück. Es sei der Eindruck erweckt worden, die Entscheidung des Bundessicherheitsrates sei erkauft worden.

Am 22. November sickert durch, daß die CDU in der Vergangenheit Spenden gestückelt empfangen hat, damit sie nicht im Rechenschaftsbericht gegenüber dem Deutschen Bundestag erscheinen müssen. Nach Darstellung der CDU handelte es sich dabei um Spenden verschiedener selbständiger Unternehmen, was den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Nach dem Parteiengesetz müssen Spenden ab 20.000 Mark in den Rechenschaftsberichten der Schatzmeister namentlich ausgewiesen werden.

Entgegen anderslautender Erklärungen versichert Kiep am 23. November, die wichtigsten Gremien der CDU seien sehr wohl stets über die Parteifinanzen informiert worden.

Auf einer Bundestagssitzung am 24. November kommt es zum Eklat: Kohl verlangt seine Vernehmung noch vor Weihnachten durch den geplanten Parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Der desginierte Vorsitzende des Gremiums, Volker Neumann (SPD), schließt dies aus.

Einen Tage später erklärt Schreiber gegenüber der Presse, er habe Kontakte zum jetzigen CDU-Chef Schäuble und zu Kieps Nachfolgerin im Schatzmeisteramt, Brigitte Baumeister, gehabt.

Wieder einen Tag später, am 26. November, bekommt nun der Skandal eine neue Wendung und Schärfe: Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bestätigt Berichte über geheime CDU-Konten, die ausschließlich unter der Verantwortung des Bundesvorsitzenden und der Schatzmeisterei standen. Damit wird Geißler zu einem Kronzeugen gegen den ins Zentrum der Affäre gerückten Kohl. Schäuble will alle von der Bundespartei geführten Konten von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer kontrollieren lassen. Er sichert eine rückhaltlose Aufklärung der CDU-Spendenaffäre ohne Ansehen der Personen zu. Er räumt ein, die Union habe bei der Wirtschaftsprüfungsfirma Weyrauch und Knapp Treuhandkonten unterhalten. Diese hätten aber nichts mit schwarzen Kassen zu tun. Damit könnte die Abrechnung mit dem "schwarzen Riesen" kurz bevorstehen.

Geißler, der durch seine Äußerungen den Altkanzler unter erheblichen Druck setzt, weist das Motiv der Rache weit von sich. Geißler war 1989 nach sensationellen Wahlschlappen, dem Einzug der Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus sowie dem Putschversuch von Lothar Späth als Generalsekretär der CDU von Kohl gefeuert worden.

Es ist nachvollziehbar, daß die Basis der CDU auf eine lückenlose Aufklärung der Spendenaffäre drängt. Wahrscheinlich sind auch nur wenige in der Führungsspitze in die Abwicklung dubioser Geschäfte involviert. Profitiert hat aber, insbesondere im Wende-Jahr 1989/90 die gesamte Partei vom wundersamen Geldsegen, der über das "System Kohl" in die Partei gespült wurde und auf rätselhafte Weise eine hochverschuldete Partei sanierte.

Angesichts der zutage getretenen Realität der Finanzierung – Begünstigung, Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Interessen – steht ein Parteiensystem in Frage, das überholt zu sein scheint. Es ist überfällig, über eine Öffnung der politischen Apparate, der politischen Parteien nachzudenken.

Die Rolle und Bedeutung der Parteien ist in Deutschland in der Praxis zu großzügig ausgelegt, die Rolle der Parlamente, die Rolle der frei gewählten Abgeordneten, die Rolle unabhängiger Justiz und Verwaltung zu gering eingeordnet worden. Die Parteien sind strukturell zu anfällig für Einflußnahme und so zum Tummelplatz von Lobbyisten verkommen.


 
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