© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Stasi im Westen: Friedrich Wilhelm Schlomann über den Einfluß der DDR-Staatssicherheit
"Man wollte den Staat zerstören"
Moritz Schwarz

Herr Dr. Schlomann, Sie haben die Aktivitäten der Stasi im Westen bereits 1993 in Ihrem Buch "Die Maulwürfe . Noch sind sie unter uns, die Helfer der Stasi im Westen" beschrieben. Nun hat der Mitarbeiter der Gauck-Behörde, Hubertus Knabe, die Ergebnisse seiner Recherchen vorgelegt.Was bietet Knabes Buch an neuen Erkenntnissen?

Schlomann: Für Kenner bietet es nicht viele neue Erkenntnisse. Unbekannt aber war die leider oft ja recht erfolgreiche IM-Tätigkeit in den Kirchen Westdeutschlands und besonders West-Berlins. Und das Ausmaß der Präsenz der heimlichen Helfershelfer der Stasi ausgerechnet an den westdeutschen Universitäten, wo ja die Intelligenz von morgen herangebildet wird.

Herr Knabe zitiert des öfteren aus Ihrem Buch. Hat er Sie konsultiert?

Schlomann: Ich habe mit Herrn Knabe vor längerer Zeit gesprochen, er erwähnt mich ja, zusammen mit einem Schweizer Kollegen, in seinem Buch. Er bestätigte mir, wir hätten vor 1989 bewiesen, daß der Westen doch sehr viel wußte. Zumindest die, die es wissen wollten und das – muß man leider sagen – waren nicht sehr viele. Leider hat Herr Knabe nichts zur Einflußnahme der Stasi in der Bundeswehr geschrieben, und dabei ist gerade das ja ein brisanter Bereich.

Welchen Umfang hatten die Stasi-Aktivitäten im Westen?

Schlomann: Ich darf dazu einen Spezialisten einer bundesdeutschen Abwehrbehörde zitiern, wonach es praktisch kein Geheimnis mehr in der Bundesrepublik für die Stasi gab. Vor allem die Hauptabteilung 3 war mit dem Abhören von Telefonen beschäftigt. Wie ich inzwischen aus den Akten weiß, wurde auch mein Telefon angezapft. Aber das war mir schon damals klar. Nur: Bundeswehroffiziere haben mich noch im Frühjahr 1989 ausgelacht, als ich darauf hinwies, man solle doch bitte beim Telefonieren vorsichtig sein. Man glaubte das nicht. Ich erinnere mich noch fast wörtlich. Man sagte: Die haben ja nicht mal genug zu essen...

Tatsächlich!?

Schlomann: Ja! Und wenn es ganz geheim wurde, dann sagten sie: "Nein, nein, das sagen wir nicht am Telefon, das schicke ich Dir per Fax." Erschütternd!

Auf welchen Ebenen operierte die Stasi?

Schlomann: Angriffsziel war primär der Staat, den man letztlich nicht nur ausspionieren, sondern zerstören wollte. Im Zeichen des internationalen Sieges des Sozialismus, oder wie der SED-Häuptling Matern einmal sagte: "Wir wollen, daß die roten Fahnen am Rheine wehen!" Westdeutschland zu infiltrieren war ihnen Mittel zum Zweck. Auf der Ebene der Bürger müssen wir unterscheiden: Der durchschnittliche Westdeutsche, der ja auch die Wiedervereinigung längst abgeschrieben hatte, der interessierte die Stasi natürlich nicht. Ziele waren aber etwa der Dissident aus der DDR, der jetzt im Westen lebte, oder vor allem diejenigen, die nach wie vor ernsthaft die Wiedervereinigung in Freiheit öffentlich anstrebten. So bin ja auch ich ins Visier der Stasi geraten.

Was konnte einem West-Bürger so alles drohen?

Schlomann: Betrachten Sie einfach mein Beispiel: Ich habe nach der Wende erfahren, daß die Stasi bereits in Erwägung zog, gegen mich operative Maßnahmen zu ergreifen, wenn ich weiterhin soviel geschrieben hätte. Was alles bedeuten kann: nächtliche Telefonanrufe, Bestellen von Torten, Kuchen, Kleidern oder auch einem Leichenwagen. Oder man diffamiert Sie: etwa, daß Sie homosexuell seien, oder kleine Kinder lieben, verschuldet wären. Oder gar: Sie seien Stasi-Agent! Da gibt es viele Möglichkeiten. Das nennt man im Stasi-Jargon "Zersetzung".

Hat der Verfassungsschutz solche Stasi-Opfer nicht zu schützen versucht?

Schlomann: Natürlich hat der Verfassungsschutz versucht zu helfen. Aber er kann das ja nicht verhindern – zum Beispiel nächtliche Telefonanrufe. Er kann nur Ratschläge geben, etwa seine Gewohnheiten zu wechseln, damit man nicht verhauen wird, und solche Dinge. Eine Diktatur hat vielfältigste Möglichkeiten.

Wie sieht es auf der Ebene der Parteien und Verbände aus?

Schlomann: Da versuchte die Stasi entscheidende Positionen zu besetzen. Denken Sie doch nur an die spektakulären Fälle: Die Stasi hat im Bundestag dafür gesorgt, daß derjenige Bundeskanzler wurde, der ihr genehm war, also Willy Brandt statt Rainer Barzel. Bundespräsident Lübke wurde durch Stasi-Fälschungen zum Rücktritt veranlaßt. Oder der Ehrenpräsident der FDP, William Borm, dessen Antrittsrede im neugewählten Deutschen Bundestag aus der Feder Markus Wolf' persönlich stammt! Durch die Grünen saß die Stasi auch im Europa-Parlament.

Also hat die Stasi in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik mitgesteuert!? Das galt bisher als böse Mär der Antikommunisten.

Schlomann: Na, ja – mitgesteuerte? Sagen wir lieber, sie verstand es auf gewisse Dinge Einfluß zu nehmen. Aber das will heute ja niemand mehr wissen. Knabe sagt ja, wir verharmlosen es. Das ist noch viel zu höflich ausgedrückt. Ich möchte noch etwas sagen: Wie ich kürzlich gelesen habe, leben von den Opfern der SED-Diktatur zwei Drittel von der Fürsorge, während die Altersversorgung ehemaliger Stasi-Offiziere monatlich zwei- bis dreitausend Mark durchschnittlich beträgt! Das empfinde ich als moralische Schande für unser Land!

Wie verhielt es sich mit der Deutschlandpolitik? Der deutschlandpolitische Sprecher der Grünen, Dirk Schneider, etwa war IM, und das Deutschlandpolitischen Thesen der Grünen wurden im MfS formuliert. Wenn man bedenkt, daß die Grünen zur Zeit der Wende zum Beispiel in Berlin mit an der Macht waren, so ist das doch ganz erheblich.

Schlomann: Ja, das ist es auch. Zum Glück gelang es aber nicht, die westdeutschen Sicherheitsstellen effektiv zu unterwandern.

Erfährt der einstige antikommunistische Vorwurf, bei Friedensbewegung und Grünen handle es sich um "fünfte Kolonnen Moskaus" im Lichte dieser Fakten eine Rechtfertigung?

Schlomann: Ja! Nehmen Sie zum Beispiel diese Vereinigung "Generäle für den Frieden". Das war sogar eine reine Stasi-Erfindung, finanziert vom MfS.

Waren diese Gruppen aber nicht auch Opfer der Stasi? Dafür spricht ja auch, daß die Stasi sie immer als Feind-Organisationen eingestuft hat.

Schlomann: Sie waren Täter insofern, als sie durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen die Ziele der Stasi letzlich förderten. Opfer waren sie nach meiner Ansicht höchstens hinsichtlich ihrer politischen Dummheit. Doch auch insoweit haben sie eigene Schuld.

Die Angst vor dem Atomkrieg war doch verständlich. Man geht auf den Osten zu und wird gleichzeitig von ihm instrumentalisiert. Ist das doch eine Verstrickung?

Schlomann: Ich denke da anders. Sehen Sie, die Schuld fängt schon damit an, daß man nur die amerikanischen Raketen, die noch gar nicht aufgestellt waren, verflucht hat, die SS-20 der anderen Seite übersieht. "Nicht sehen" heißt "nicht sehen wollen". Und zum Verstricken gehören immer zwei!

Kann man bei den Stasi-Operationen im Westen ein strategisches Kalkül erkennen, oder verfuhr man geleitet von einer Spitzel-Manie noch dem Motto: Soviel wie nur möglich!?

Schlomann: Das war in den ersten Jahren der Fall. Das war auch noch ein anderes Personal, das waren oft noch alte KPD-Männer, die die Leute auch folterten.

Gefoltert?

Schlomann: Ich bitte Sie, gefoltert wird immer bei Geheimdiensten! Später hat das dann aufgehört, man hatte dann andere Me- thoden. Dann wurde die Informationsgewinnung auch viel gezielter. Über die Jahrzehnte hat da durchaus eine Veränderung stattgefunden.

Welchem Zweck dienten die Aktivitäten nach Stasi-Verständnis: Der Sicherung des weltpolitischen Status-Quo durch Erlangung eines sttrategischen Vorteils oder der Vorbereitung der kommenden Vernichtung des Klassenfeindes?

Schlomann: Die Aktivitäten der Stasi waren nie stabilisierend, sondern immer aggressiv gemeint! Die Formel von der Sicherung des Weltfriedens war Propaganda. Das waren Kriegsvorbereitungen. Auch die Methoden waren ja hemmungslos: Menschenraub, Auftragsmord, Terrorismus und Attentate inbegriffen. Auch die westlichen Dienste waren anfangs aggressiv, aber die Stasi verhielt sich unabhänig von ihrem Gegner aggressiv. Das Aggressionspotential der Stasi orientierte sich nicht am Gegner oder der Lage. Die Stasi folgte stets nur rücksichtslos der eigenen Ideologie.

 

Dr. Friedrich Wilhelm Schlomann geboren 1928 in Lüneburg, aufgewachsen in Schwerin, studierte Rechtswissenschaften in Rostock und Leipzig, bevor er 1950 aus politischen Gründen in den Westen floh. Er arbeitete im Archiv für Gesamtdeutsche Fragen und im Bundesverteidigungsministerium. Seit 1950 freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften, war er ab 1970 Redakteur der Deutschen Welle.

 

Veröffentlichungen: "Lachen verboten, Genosse", Nebel-spalter-Verlag (1986); "Mit soviel Hoffnung fingen wir an", Universitas (1991); "Die Maulwürfe. Noch sind sie unter uns, die Helfer der Stasi im Westen", Universitas (1993); "Mit Flugblättern und Anklageschriften gegen das SED-System", Hrsg. Landesbeauftragter des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Stasi-Unterlagen (1998)


 
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