© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Marion Gräfin Dönhoff
Eine Dame von Einfluß
von Ines Steding

Wenn am 2. Dezember Marion Gräfin Dönhoff, "die große Dame des deutschen Journalismus", in ihr neuntes Jahrzehnt ihres "widerständigen Lebens" aufbricht, dann betritt sie dieses mit den Ehrerbietungen, die nur einer von den Epochen geprägten und diese Epochen mitprägenden Vita zuteil werden.

Geboren als 7. Kind in eine im 17. Jahrhundert aus dem Westfälischen nach Ostpreußen eingewanderte Grafenfamilie, deren Besitzungen im Progeltal bei Königsberg den klassischen Vorstellungen von "riesig" entsprachen, waren Erziehung und Umgang ihrer Jugend standesgemäß. Sie machte ihr Abitur in Potsdam, studierte Volkswirtschaft in Frankfurt am Main und promovierte in Basel, nachdem sie es in Deutschland mit seinen "eisenbeschlagenen Stiefeln" nach 1933 nicht mehr aushielt. Ihre Brüder wurden in den Krieg eingezogen, so daß sie die Gutsverwaltung übernehmen mußte. Am Widerstand des 20. Juli gegen Hitler war sie beteiligt oder zumindest darin eingeweiht – Umfang und Umstände sind umstritten. Ende Januar 1945 mußte sie vor den russischen Besitzergreifern aus ihrer ostpreußischen Heimat flüchten.

Ein Memorandum Gräfin Dönhoffs von 1946 an die englische Besatzungsmacht erreichte auf Umwegen den rein männlichen Gründungspulk der Zeit, der sie gleich ins Boot aufnahm; schon 1950 wurde sie verantwortlich für das politische Ressort, 1968 übernahm sie die Chefredaktion. 1973 schließlich wurde sie von ihrem Verleger Gerd Bucerius zur Zeit-Herausgeberin berufen.

Nunmehr besteht der Herausgeberkreis neben der Gräfin aus Helmut Schmidt (80) und Theo Sommer (69), wobei letzterer demnächst durch den einstigen Zeit-Redakteur und nachmaligen Ressortleiter "Außenpolitik" der Süddeutschen Zeitung Josef Joffe (55) ersetzt werden soll – gegen den erklärten Willen der einzigen Zeit-Herausgeberin.

Die mit unzähligen Preisen überschüttete Ehrenbürgerin der Stadt Hamburg erlebt bei ihrem neuen Verleger Dieter von Holtzbrinck etwas Ungewohntes: Das in wirtschaftlichem Abwind befindliche Flaggschiff Die Zeit soll wieder zur alten Auflagenstärken heranwachsen, und zwar möglichst ohne die weisen Rezepturen der derzeitigen Herausgeber. Insbesondere Dönhoffs Rat führe, so von Holztbrinck, in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft.

Gewiß liebt Gräfin Dönhoff die Meinung. Jeweils donnerstags griffen ihre Ansichten zum Verhältnis Deutschland-Polen, zur 68-Revolte, ihre groben Fehleinschätzungen zur DDR, zu Reagan immer wieder aufs neue tief in die bundesrepublikanischen Befindlichkeiten ein. Sie war zur Meinungsmacht geworden, die sich freilich mit den Jahren abwetzte. Der lesende Nachwuchs verlangt einfach nicht mehr nach den Rezepten von links, liberal und hyperstasierter Moral.


 
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