© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Pankraz,
W. Rathenau und der Ruck durch die Deutschland AG

Höchst erfrischend, was vorige Woche in Sachen Holzmann (und auch Mannesmann) geschah. Dort, wo es angeblich nur noch um Zahlen und Bilanzen, um Verlustrechnungen und Gewinnmitnahmen geht, brach plötzlich die pure Leidenschaft hervor, Empörung zuerst und dann Freude, ein Gefühl gemeinsam bestandener Gefahr und gemeinsam erzwungener Rettung. Nach der "Rettungsrede" von Bundeskanzler Schröder vor der Holzmann-Zentrale sangen die Anwesenden spontan die Nationalhymne. Es hagelte freiwillige Verzichte "im Interesse des Ganzen", Lohnverzicht, Gehaltsverzicht, Freizeitverzicht. Der "Ruck", den einst ein Bundespräsident, scheinbar vergeblich, herbeigefleht hatte, war da.

Inzwischen ist von den Kommentatoren schon wieder viel Wasser in den Wein geschüttet worden. Man gab sich teils süffisant, teils überlegen-weltmännisch. Es habe sich in der Holzmann-Affäre, dozierten die Anhänger der reinen Lehre, ein unzulässiger Eingriff in die Gesetze des Marktes begeben, der sich rächen werde. Was dem Bauriesen Holzmann gewährt worden sei, das dürfe künftig dem kleinen Dachdecker-Quietscher mit zwei, drei Beschäftigten nicht vorenthalten werden.

Was die drohende feindliche Übernahme bei Mannesmann betreffe, so sei schon der Begriff "feindlich" die Ausgeburt hirnverbrannter Provinzler. Allein der Wille der Aktionäre entscheide, was mit einer Firma zu geschehen habe, und wenn man diese Shareholders mit zusammengeborgtem Geld besteche, so daß sie einem Besitzerwechsel zustimmten, so sei eben nichts zu machen, selbst wenn die übernommene Firma vorher noch so gesund gewesen sei und ihr nun, nach der Übernahme, Zerschlagung und Ausweidung drohe. Auch hier müsse die reine Lehre respektiert werden. Principiis obsta!

Pankraz gesteht, daß ihm derlei Prinzipienreiterei ein geradezu physisches Unbehagen bereitet. Er kennt sie, mit entgegengesetztem Vorzeichen, aus der verflossenen DDR, wo im Zeichen der reinen Lehre des Sozialismus und der Staatswirtschaft partout eine Genehmigung von der staatlichen Plankommission in Berlin eingeholt werden mußte, wenn man etwa ein Toilettenhäuschen in Probstzella oder Zinnwald errichten wollte.

So wie damals "aus Prinzip" der Staat überall dabeisein wollte, so soll er sich heute "aus Prinzip" aus allem heraushalten, vor allem aus der Wirtschaft. Und dabei heißt es doch längst: "Die Wirtschaft ist das Schicksal" (Walter Rathenau). Wozu denn überhaupt Politik, wenn sie sich ausgerechnet aus Schicksalsfragen heraushalten soll?

Politik kommt von polis, res publica, für deren Gedeih sie verantwortlich ist, sie ist das öffentlich Interessante und Wichtige, und dies Gedeihliche, Interessante und Wichtige ist keineswegs von vornherein identisch mit dem sogenannten shareholder value. Wenn dieser überstrapaziert wird und sich verheerend auf den Zusammenhalt der res publica auszuwirken beginnt, muß die Politik selbstverständlich eingreifen.

Traditionen, Schicksalsgemeinschaften, regionale Eigenarten sind zu berücksichtigen. Vieles von dem, was im amerikanischen Raubtierkapaitalismus ohne weiteres durchgeht, ist in der "Deutschland AG" nach wie vor tabu. Wer das nicht beachtet oder gar frech mit Füßen tritt, sät Sturm. Sind sich die "Harvard"- oder "Chicago-Boys" in den deutschen Chefetagen eigentlich bewußt, wie viel Zorn auf ihren amerikanischen Stil sich bei den deutschen Arbeitnehmern in den letzten Jahren aufgespeichert hat? Jeder kleine Gewerkschaftsfunktionär weiß inzwischen, daß da jederzeit ein Kessel explodieren kann. Noch ein, zwei feindliche Übernahmen großen Formats, noch ein, zwei Superpleiten à la Holzmann, und wir haben in Deutschland den Bürgerkrieg.

Diese Gefahr sollte auch der Mittelstand ins Auge fassen, dessen Funktionäre im Augenblick so vollmundig gegen die Berliner Rettungsaktion für Holzmann wettern. Ein russisches Sprichwort sagt: "Aus einem großen Wald kommen große Tiere heraus, aus einem kleinen Wald kommen kleine Tiere heraus." Quantität schlägt in Qualität um. Der nationale Schaden, den der Konkurs eines Kleinbetiebs anrichtet, ist in der Regel minimal, der entsprechende Schaden beim Konkurs eines Großkonzerns dagegen ungeheuer. Die Politik muß das berücksichtigen. Damit ist noch nichts gegen eine eine kulante und großzügige Mittelstandspolitik gesagt.

Auch für den Mittelstand gilt ja, was für die "Deutschland AG" im Ganzen gilt: Er ist grundsätzlich und von Haus aus gegen das Verschlucktwerden durch immer größere und anonymere Agglomerationen und insbesondere gegen feindliche Übernahmen. Die Demonstrationen vor der Holzmann-Zentrale fanden letzlich auch in seinem Interesse statt.

Natürlich muß man Warnungen vor einem allzu großen, ungebührlichen und hyperbürokratischen Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen ernstnehmen. Aber Pankraz hat den Eindruck, daß sich die derzeitige Politik ziemlich redlich um dieses Ernstnehmen bemüht. Allzu eindrucksvoll war die Lehre, die der kommunistische Staatsdirigismus und sein apokalyptisches Scheitern allen Verantwortlichen erteilt haben. In diese schreckliche Falle möchte niemand stolpern.

Ob der dezisionistische, recht unbekümmerte Eingreifstil ("Feuerwehrstil") des gegenwärtigen Bundeskanzlers der richtige ist, wird wohl erst die Zukunft erweisen. An sich berührt er nicht unsympathisch, bringt Farbe ins Spiel. Doch was für Niedersachsen gut gewesen sein mag, muß nicht unbedingt gut sein für die "Deutschland AG". Solide Steuerreform und Freiheit von grün-ökologistischen Macken wären wahrscheinlich effizienter. Wer möchte schon jenem sprichwörtlichen Feuerwehrmann gleichen, der mit Begeisterung immer nur die Brände löscht, die er vorher selbst gelegt hat.


 
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