© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Stalingrad an der Donau: Ungvárys Buch zur Schlacht um Budapest
102 Tage unter Belagerung
Kai Guleikoff

Am 1. Dezember 1944 ließ Adolf Hitler die ungarische Hauptstadt Budapest zur Festung erklären. Durch diesen Befehl sollten möglichst viele Truppen der Roten Armee und deren Verbündeter im Bereich der deutschen Heeresgruppe Süd gebunden werden. Seit dem 19. März 1944 war Budapest durch die deutsche Wehrmacht unter Generalfeldmarschall von Weichs besetzt worden. Die Regierung Horthy hatte versucht, mit der sowjetischen Führung im Frühjahr 1944 einen Waffenstillstand zu schließen.

Der endgültige Bruch des Reichsverwesers mit den deutschen Verbündeten geschah am 15. Oktober 1944. An diesem Tag sollten die Deutschen in Budapest entwaffnet werden und danach ein Waffenstillstand mit den Sowjets erreicht werden. Das Vorhaben scheiterte, und die Partei der faschistischen Pfeilkreuzler übernahm die politische Macht in Ungarn. Die monarchistisch eingestellte Armee verhielt sich mit großer Mehrheit weiterhin loyal.

Hier setzt das Buch von Krisztián Ungváry ein, das in der deutschen Übersetzung den Titel erhielt: "Die Schlacht um Budapest 1944/45. Stalingrad an der Donau" (Herbig , München 1999). Der 1969 geborene Autor promovierte mit dieser geschichtlichen Untersuchung. In Ungarn erschien das Buch unter dem Titel "Budapest Ostroma" bereits in dritter Auflage.

Ungewöhnlich ist die Tatsache, daß erst jetzt eine umfassende Darstellung dieser kriegsgeschichtlich wichtigen Ereignisse vorgelegt wurde. Ohne Zweifel gab es von ungarischer Seite politische Blockaden, solange Ungarn eine "Volksrepublik" war und Bündnispartner im Warschauer Vertrag. Der Beitrag Ungarns innerhalb der europaweiten faschistischen Bewegung paßte nicht in die rote Tradition der Räterepublik von 1919. Von sowjetischer und von deutscher Seite gibt es lediglich Beiträge von Kriegsteilnehmern innerhalb ihrer Gesamterinnerungen über den Zweiten Weltkrieg.

Ungváry stellt ein umfangreiches Literaturverzeichnis vor, das für Interessenten eine Fundgrube darstellt. Von Vorteil ist auch, daß seit der Demontage des Eisernen Vorhanges ungehindert die Schauplätze der Kämpfe besucht werden können. Noch heute stehen die Ruine des früheren Kriegsministeriums in der Burg von Budapest und die von Einschüssen zerfressenen Häuser in der Batthyanystraße und am Szell-Kalman-Platz.

Hitler wie auch Stalin sahen Budapest als Schlüssel zu Wien an. Dementsprechend waren die Kräftebereitstellungen. Die deutsch-ungarischen Verteidiger zählten am 24. Dezember 1944 etwa 79.000 Mann. Kommandierender General war SS-Obergruppenführer und General der Polizei Karl Pfeffer von Wildenbruch (im Buch "Pfeffer-Wildenbruch" geschrieben). Die Wahl eines erfahrenen Polizeioffiziers als Festungskommandanten erhellt die unsichere innenpolitische Lage zu dieser Zeit. Sowohl die deutsche Besatzungsmacht als auch die ungarischen Verbündeten rechneten mit Aufständen in Budapest und im Umland. Hinter der Pfeilkreuzler-Bewegung mit ihrem extremen Judenhaß standen relativ wenige Ungarn. Die Pogrome dieser Schwarzhemden und das provozierende Auftreten ihrer Miliz schwächten letztlich den Abwehrwillen der Bevölkerung.

Die verbündeten Ungarn wurden geführt von Generaloberst Ivan Hindy, einem gebürtigen Budapester. Der Autor schildert ihn als "die gescheiterte Gestalt des rechtsgerichteten ungarischen Offiziers", der "hätte abtreten müssen, als er die Sünden sah, aber nichts dagegen unternehmen konnte". Die Befehlshaber der Roten Armee waren die Marschälle Rodion Jakowlewitsch Malinowski (2. Ukrainische Front) und Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin (3. Ukrainische Front), beide Stalingrad-Kämpfer. Ihnen zur Seite standen rumänische Kräfte und ungarische "rote Freiwilligeneinheiten". Die Verpflegungsstärke der Fronten und Verbündeten betrug am 24. Dezember 1944 rund 156.000 Mann.

Besonderen Wert haben die Schilderungen über den Ausbruch und zu Belagerung und Bevölkerung . Schonungslos listet Ungváry die Rechtsverstöße beider Seiten gegen Kriegsgesetze und Moralnormen auf. Der Massenausbruch der Verteidiger vom 11. Februar 1945 wurde zum Massenselbstmord. Ungváry schreibt: "Weniger als 2 % der Verteidiger kamen durch, von ihnen waren höchstens 10 % Ungarn. Fast die Hälfte der Ausbrechenden, 17.000 Menschen, fanden innerhalb von 5 Tagen den Tod, die meisten bereits innerhalb von 6 Stunden in einem relativ engen Gebiet zwischen dem Szell-Kalman-Platz und dem Kühlen Tal."

Von den etwa 150.000 Toten beider Seiten im Stadtgebiet von Budapest konnten erst rund 5.000 Soldaten und Zivilisten namentlich festgestellt werden. Tausende Leichen trug die Donau fort. Zehntausende liegen noch heute unter den gepflegten Rasenflächen der Parks, im Stadtwald und im Budaer Gebirge.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen