© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Kolumne
Kunstgriff
von Heinrich Lummer

Es soll hier nicht davon die Rede sein, was denn Kunst sei. In einer Zeit, die nach dem Verlust der Mitte künstlerisch aus den Fugen geraten ist, sind Begriff und Grenzen unklar geworden. Die meisten Künstler ernennen sich selbst dazu. Damit soll man sich abfinden. Was ich mir kaufe und an die Wand hänge, ist indessen meine Sache. Und es ist Sache des Deutschen Bundestags, welche Kunst im Reichstag zu sehen sein wird.

Dabei sollte es auch eine Rolle spielen, in welcher künstlerischen Umgebung sich Abgeordnete und Besucher wohlfühlen. Denn wo man arbeitet und viel Zeit verbringt, muß man sich nicht an jeder Wand mit einer künstlerischen Provokation auseinandersetzen. Und es muß auch nicht nur zeitgenössische Kunst sein. Vielleicht könnte auch die Geschichte des deutschen Parlamentarismus – soweit sie künstlerisch gestaltet wurde – in Erscheinung treten. Im übrigen ist der Reichstag nicht nur für den Kunstbeirat oder die Abgeordneten da, sondern für das ganze Volk – und in einem bestimmten Sinne auch für die Bevölkerung. Auch die Besucher des Parlaments muß man nicht mit künstlerischen Provokationen traktieren. Man suche in aller Welt ein Parlamentsgebäude, wo solches geschieht. Hier sollte man auf deutsche Sonderwege verzichten.

Wenn nun eine der künstlerischen Provokationen darin bestehen soll, die Inschrift "Dem Deutschen Volke" zu konterkarieren und als überholt, chauvinistisch und nationalistisch zu diskreditieren, dann gibt es Grund genug, dagegen zu sein. Verwunderlich bleibt die Haltung des Kunstbeirates, der dem Modell des Aktionskünstlers Haacke bei nur einer Gegenstimme zugestimmt hat. Denn: Ein Volk ist etwas anderes als die Bevölkerung. Dies gilt insbesondere in einem Land, das einem enormen Zuwanderungsdruck aus primär ökonomischen Gründen ausgeliefert ist. Asylbewerber, Kontingentflüchtlinge, Kriegsflüchtlinge, Familiennachzügler und was es sonst noch gibt, gehören nicht von vornherein zum Volk. Das Volk sind die mündigen Staatsbürger, die auch die Verantwortung für Geschichte und Zukunft des Landes tragen. Das Volk ist die Schicksalsgemeinschaft der Deutschen, die durch Sprache und Geschichte verbunden sind. Es sind diejenigen, die für den Holocaust und die Zwangsarbeiter zur Kasse gebeten werden, weil sie das Volk sind. Und es sind die, die in Leipzig und anderswo für die Wiedervereinigung auf die Straße gingen.

Die Unterscheidung zwischen "Volk" und "Bevölkerung" hat also durchaus einen guten Sinn. Wer "das Volk" durch "Bevölkerung" ersetzen will und zudem das Land für jedwede Zuwanderung öffnen will, der will Deutschland auf sanfte Weise liquidieren. Sich dagegen zu wehren, gibt es ein Recht und guten Grund.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU. Er studiert heute Kunstgeschichte.


 
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