© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Leonard Peltier: Mein Leben ist mein Sonnentanz
Schandfleck der US-Justiz
Werner Olles

Viel wissen wir über das schreiende Unrecht, das den Indianern Nordamerikas in der Vergangenheit widerfahren ist, manches über das stille Leiden jener, die den Völkermord überlebten und nun in Reservaten vegetieren, in denen landesweit die größte Armut und Arbeitslosigkeit herrscht, wo es die höchste Säuglingssterblichkeit, die höchste Selbstmordrate unter Jugendlichen, die niedrigste Lebenserwartung und neben einer miserablen Krankenversorgung, einem unzureichenden Schulwesen und schlechten Unterkünften eine wuchernde Korruption gibt. Wenig bis nichts wissen wir dagegen über den Widerstand, den Mut und die Tapferkeit indianischer Männer und Frauen, die sich gewaltlos gegen ein System auflehnen, das ihnen nicht nur ihre Würde und ihre Kultur stehlen will, sondern auch ihre Identität als Indianer auszulöschen versucht.

Seit fast einem Vierteljahrhundert sitzt Leonard Peltier inzwischen im US-Bundesgefängnis Leavenworth. 1977 wegen des angeblichen Mordes an zwei FBI-Agenten zu zweimal lebenslänglich plus sieben Jahre verurteilt, erzählt er nun in der Autobiographie "Mein Leben ist mein Sonnentanz" seine eigene Geschichte, in der sich in weiten Zügen auch die seines Volkes widerspiegelt. 1944 in Grand Forks in North-Dakota geboren, stammt er von den Chippewa und Dakota-Sioux ab, aber weil ein Vorfahre seines Vater französischer Abstammung war, und vor hundert Jahren als Felljäger und Kaufmann durch das Land zog, wird er auf den Namen Peltier getauft. Er wächst im Turtle Mountain Chippewa-Reservat auf, besucht die Schule des Bureau of Indian Affairs (BIA) und macht den Hauptschulabschluß an der indianischen Schule in Flandreau, South-Dakota.

Nach seiner Rückkehr ins Reservat beginnen 1958 die ersten Konflikte mit dem Gesetz. Weil er bei einem verbotenen Sonnentanz zuschaut, wird er verhaftet und verbringt zwei Wochen im Gefängnis. Nachdem sein Antrag auf ein Stipendium an der Kunsthochschule Santa Fe abgelehnt wird, geht er nach Seattle und eröffnet eine Autowerkstatt.

Die Besetzung der ehemaligen Gefängnis-Insel Alcatraz im Jahre 1969 ist der Beginn seiner Politisierung. Als indianische Aktivisten des 1968 gegründeten American Indian Movement (AIM) das leerstehende Fort Lawton bei Seattle besetzen, ist auch Peltier dabei. Die Aktion wird niedergeschlagen, und die Aktivisten wandern vorübergehend ins Gefängnis. 1972 schließt er sich dem AIM an und arbeitet im Pine Ridge-Reservat an der Seite des AIM-Vorsitzenden Dennis Banks. Im AIM-Büro von Milwaukee wird er nach dem "Marsch der gebrochenen Verträge", bei dem er als Sicherheitschef agierte, von der Polizei als "Unruhestifter" festgenommen und schließlich des versuchten Mordes angeklagt. Er verbringt fünf Monate im Gefängnis, während seine Freunde die berühmt gewordene Belagerung von Wounded Knee beginnen. Nachdem es dem AIM gelingt, Geld für die Kaution zusammenzubringen, taucht er unter. Jahre später wird er von der Anklage wegen versuchten Mordes freigesprochen.

Im Mai 1973 endet die 71tägige Belagerung von Wounded Knee mit der Aufgabe der erschöpften Besetzer, die sich widerstandslos verhaften lassen. Gerichtsunterlagen zufolge werden während der Belagerung von FBI-Agenten, US-Marshals, der Stammespolizei und den Guardians of the Oglala Nation (GOON), einer paramiltärischen Truppe, mehr als 250.000 Schüsse auf die Besetzer abgegeben, denen zwei der Aktivisten zum Opfer fallen.

Wegen der Verschlimmerung der Schreckensherrschaft, die die GOONs über die Traditionalisten in Pine Ridge ausüben, ruft der Ältestenrat das AIM zu Hilfe. Zu den siebzehn Aktivisten, die kommen, gehört auch Leonard Peltier. Am 26. Juni 1975 fahren zwei FBI-Agenten mit hoher Geschwindigkeit in einem ungekennzeichneten Auto auf das Gelände, auf dem die AIM-Leute ihr Zeltcamp errichtet haben. Es kommt zu einem Feuergefecht zwischen den nicht als FBI-Agenten zu identifizierenden Eindringlingen und den Verteidigern des AIM. Innerhalb von Minuten umzingeln FBI-Männer, US-Marshals, GOONs und BIA-Polizei das Camp. In dem stundenlangen erbitterten Gefecht sterben die beiden FBI-Agenten und ein AIM-Aktivist. Peltier und zwei Dutzend weiteren Indianern gelingt die Flucht. In Kanada findet er Unterschlupf bei einem Stamm in den Rocky Mountains.

Eine Welle von ungeklärten Morden an AIM-Mitgliedern erschüttert die Reservate. Peltier wird im Februar 1976 von der Royal Canadian Mounted Police festgenommen und nach einer unter Druck erzeugten Falschaussage einer Indianerin in Verbindung mit anderem gefälschten Beweismaterial von den kanadischen Gerichten an die USA ausgeliefert. In Cedar Rapids werden zwei Aktivisten nach einer turbulenten Verhandlung freigesprochen, weil das Gericht ihnen zubilligt, aus Notwehr auf die beiden eindringenden FBI-Agenten geschossen zu haben. Das FBI läßt schließlich auch die Anklage gegen ein drittes AIM-Mitglied fallen, um sich voll und ganz auf Peltier zu konzentrieren.

Im März 1977 beginnt in Fargo, North Dakota, die Verhandlung gegen Leonard Peltier wegen zweifachen Mordes. Vor einer von den Behörden eingeschüchterten Jury darf der Angeklagte sich nicht auf Notwehr berufen. Nach acht Stunden Beratung wird er des Mordes an den beiden FBI-Agenten schuldig gesprochen und zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Nachdem er vom Hochsicherheitsgefängnis in Marion, Illinois, nach Lompoc nahe Santa Barbara verlegt wird, warnt ihn ein indianischer Mithäftling, daß ein Mordkomplott gegen ihn geschmiedet werde. Aus Angst vor dem Mordanschlag flieht Peltier gemeinsam mit zwei anderen indianischen Gefangenen, von denen einer hinterrücks erschossen wird. Peltier wird fünf Tage später wieder gefaßt und darf bei der Verhandlung das Mordkomplott gegen ihn nicht zu seiner Verteidigung vorbringen. Seinen beiden lebenslänglichen Haftstrafen werden noch sieben Jahre hinzugefügt.

1985 wird er in das Gefängnis von Leavenworth in Kansas verlegt. Seine Gesuche zur Wiederaufnahme des Verfahrens werden regelmäßig von den zuständigen Behörden abgelehnt. Die Kommission für Strafaussetzung lehnt es im Mai 1998 zum zweiten Mal ab, Peltier auf Bewährung freizulassen, obwohl sich einer seiner früheren Richter nach seinem Ausscheiden aus dem Amt aufgrund triftiger Beweise, daß FBI und staatliche Behörden vor, während und nach der Verhandlung in Fargo ungesetzlich gehandelt hätten, für seine Begnadigung ausspricht, und der damalige Ankläger erneut zugibt, daß die Strafverfolgungsbehörden bis heute definitiv nicht wissen, wer die beiden Agenten erschossen hat. Peltier soll sich im Jahre 2008 wieder an sie wenden.

Peltier, der am 12. September seinen 55.Geburtstag feierte, ist seit seinem 32. Lebensjahr aufgrund offensichtlich falscher Anschuldigungen, gefälschter Indizien, Unterschlagung von Beweismitteln, gewaltsam erpreßter Aussagen und Mißbrauch des Strafrechtssystems für politische Zwecke in Haft. Sein Anwalt, Ramsey Clark, der ehemalige Justizminister der USA, nennt den Gerichtsprozeß "einen Schandfleck für das amerikanische Rechtssystem". Die Proteste gegen diesen ungeheuren Willkürakt sind inzwischen weltweit. Robert Redford drehte einen preisgekrönten Film über das Leben Peltiers ("Incident at Oglala"), die Stadträte von über 450 europäischen Städten und Gemeinden fordern seine Freilassung ebenso wie bekannte Politiker und Künstler, darunter der Dalai Lama, Michail Gorbatschow, König Albert und Prinzessin Marie Christine von Belgien, Harry Belafonte, Jane Fonda, Kris Kristofferson, Joni Mitchell, Pete Seeger, Manhattan Transfer, U2 und der Regisseur Oliver Stone. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) setzt sich seit Jahren für Leonard Peltier ein, der inzwischen an einer schweren Leberentzündung leidet. Sein in der Gefangenschaft geschriebenes Buch ordnet sich mit einem erstaunlichen Optimismus in den großen geschichtlichen Kontext der indigenen Völker Amerikas ein, die seit Jahrzehnten dafür kämpfen, daß ihre Rechte von der US-Regierung respektiert und nicht den Profiten von Bodenspekulanten und Bergwerksgesellschaften geopfert werden, die ihre "Mutter Erde" auf der Jagd nach Uran und Erz zerstören. Oder wie Leonard Peltier es ausdrückt: "Ich bin ein Indianer. Mein einziger Wunsch ist es, wie einer zu leben!"

 

Leonard Peltier: Mein Leben ist mein Sonnentanz. Gefängnisaufzeichnungen. Zweitausendeins, Frankfurt 1999, 304 Seiten, 25 Mark. Auslieferung: Zweitausendeins Versand, Postfach, 60381 Frankfurt


 
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