© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Kolumne
Es weihnachtet
von Klaus Motschmann

"Alle Jahre wieder kommt das Christuskind", singen noch immer viele Kinder ein noch immer bekanntes Weihnachtslied. Und weil das so ist und damit eine ungebrochene christlich-abendländische Tradition in unserem Volke trotz aller Säkularisierung und Ideologisierung fortlebt, melden sich Moral- und Tugendwächter mit ihrer Kritik am Weihnachtsfest zu Worte, von Jahr zu Jahr aggressiver.

Beliebter Ansatzpunkt der Kritik ist die "Kommerzialisierung" des Weihnachtsfestes durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung, die in einem krassen Widerspruch zur weltweiten Armut stehe – ein durchaus bedenkenswertes Argument. Es überzeugt jedoch allein schon deshalb nicht, weil es in einem nicht minder krassen Widerspruch zu den Protesten von dieser Seite gegen Kürzungen des Weihnachtsgeldes steht. Einmal ganz abgesehen davon, daß man auf diese Weise den beklagten Kaufrausch, gelegentlich ist noch immer von "Konsumterror" die Rede, wirksam begrenzen könnte: Durch den Verzicht auf einen Teil des Weihnachtsgeldes ließe sich auch ein Zeichen der Solidarität mit den Armen, den sozial Benachteiligten, den arbeitslosen Jugendlichen, den Asylbewerbern und anderen sozialen Randgruppen setzten, das sehr viel überzeugender wirkt als gelegentliche Lichterketten, Unterschriftenlisten und Altkleidersammlungen. Wenn schon Kritik, dann bitte überzeugend und keine Beleidigung denkfähiger Bürger.

Entsprechendes gilt für das Argument antifaschistischer Vergangenheitsbewältiger, daß das Weihnachtsfest lange Zeit im Dienste militaritisch-präfaschistischer Bewußtseinsbildung des deutschen Volkes stand. Es sei kein Zufall, daß der Dichter unserer mehr und mehr ungeliebten (weil unverstandenen) Nationalhymne, Hoffmann von Fallersleben, auch ein lange Zeit beliebtes Kinderlied zur Weihnachtszeit dichtete - "Morgen kommt der Weihnachtsmann", in dem der Wunsch nach "Trommel, Pfeife und Gewehr", ja nach einem ganzen "Siegesheer" zum Ausdruck kommt. Offensichtlich ganz in diesem Sinne der Wehrertüchtigung habe dann die Deutsche Heeresleitung während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 angeordnet, in den Unterkünften und Lazaretten des "Siegesheeres" Weihnachtsbäume aufzustellen.

Auch aus derartigen Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit resultieren ideologisch-besorgte Fragen nach der Zukunft unserer multikulturellen Gesellschaft. Es mehren sich die Anzeichen, daß nicht nur die christlichen Symbole dieses Festes stören könnten, sondern auch der (nichtchristliche) Weihnachtsbaum das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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