© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/99 17. Dezember 1999 | ||||
Kaukasus: Pipeline zwischen Baku und Ceyhan im Interessenkonflikt Rußland / USA Eine Rechnung mit vielen Unbekannten Michael Wiesberg Am Rande des OSZE-Gipfeltreffens Mitte November in Istanbul wurde ein Vertrag unterzeichnet, der insbesondere aus russischer Sicht eine Provokation darstellt. Gemeint ist das von der Türkei, Aserbaidschan und Georgien im Beisein von Präsident Clinton ratifizierte Abkommen über den Bau der insgesamt 1.730 Kilometer langen Erdöl-Pipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Turkmenistan und Kasachstan sind diesem Vertrag angegliedert, weil beide Staaten durch Anschlußpipelines an dieses Projekt gekoppelt werden sollen. Laut einem Hintergrundgespräch über die US-Diplomatie am Kaspischen Meer und die Pipeline Baku-Ceyhan (US-Newswire, 18. November) gibt es nach Angaben der Pressestelle des Weißen Hauses insbesondere vier zentrale Gründe, warum die USA mit derartiger Hartnäckigkeit auf den Bau der Pipeline drängen: Einmal seien die USA im Kaukasus aktiv, um die Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten in der kaspischen Region zu stärken. Die USA wollen, so die Pressestelle, die ökonomische Entwicklung der betreffenden Staaten verbessern. Das zweite Motiv dreht sich um die Sicherung von Energieressourcen durch die USA, die Türkei und die anderen Alliierten der USA. Die USA wollen ihren eigenen Angaben nach die freie Zirkulation von Erdöl und Erdgas zwischen dem Kaspischen Meer und den westlichen Märkten garantieren. Der dritte Grund sei schlicht und einfach, so steht im Protokoll über dieses Hintergrundgespräch weiter zu lesen, die Verbesserung der geschäftlichen Perspektiven für amerikanische Unternehmen. Der letztgenannte Grund ist aus Sicht der Amerikaner angeblich der wichtigste: Die USA wollten dokumentieren, daß wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit für die Region allemal lohnender sei als die politische Rivalität, die die Geschichte der Kaukasus-Staaten lange Zeit bestimmt hätte. Der Baubeginn soll das dritte Quartal des Jahres 2001 sein. Im Jahre 2004 soll laut Vertrag das erste Erdöl von Baku nach Ceyhan durch die Pipeline fließen. Tschetchenienkriege gegen die Hegemonie Rußlands Mit diesem Erdöl sollen zum einen Raffinierien im mediterranen Raum und in Westeuropa versorgt werden. Zum anderen soll dieses Erdöl auf den internationalen Ölmärkten nach amerikanischen Vorstellungen die Abhängigkeit von den Golfstaaten senken. Vor diesem Hintergrund hätte also nicht nur Rußland einen Grund, um seinen Einfluß in der Region zu fürchten. Auch die Staaten rund um dem Persischen Golf werden die amerikanischen Pläne mit gemischten Gefühlen sehen. Nicht überraschen kann es daher, daß sich die sich abzeichnenden Interessengegensätze auch im laufenden Tschetschenienkrieg eine Rolle spielen. Für die Pipeline Baku-Noworossijsk, die durch tschetschenisches Gebiet läuft, zahlt Rußland 120.000 Tonnen Erdöl an Durchleitungsgebühr. Diese Gebühr hatten die Tschetschenen nach dem Ende des ersten Tschetschenienkrieges ausgehandelt. Seit Beginn der Konflikte in Dagestan ist der Erdöl-Transport durch diese Pipeline praktisch zum Erliegen gekommen. So gibt es eine Reihe von Zeitgenossen, die mutmaßen, daß die tschetschenischen Rebellen von den Golfstaaten gezielt unterstützt werden. Durch deren Terrorakte würde der Kaukasus instabil bleiben und das dortige Erdöl könnte nicht zu den Weltmärkten transportiert werden. Auch der tschetschenische Präsident Maschadow ist inzwischen als Verschwörungstheoretiker in Erscheinung getreten. Seinen Thesen zufolge soll der derzeitige tschetschenische Feldkommandeur Schamil Bassajew ein Söldner des russischen Finanzmoguls Boris Beresowksi sein. Dieser soll Bassajew bei einem Treffen im französischen Biarritz angeblich 30 Millionen Dollar geboten haben, damit dieser im Verein mit seinen Kampfgefährten Abu Chattab mit einer Söldnerarmee in Dagestan einfällt. Ganz von der Hand zu weisen sind diese Mutmaßungen nicht. Beresowski ist in der Tat mit Bassajew bekannt. Beide handelten das angesprochene Abkommen über die Durchleitung des aserbaidschanischen Erdöls aus. Rußland ist seit dem Ausbruch der Kämpfe im Nordkaukasus gezwungen, das Erdöl über die Schiene zu transportieren, was nach Angaben der auf Wirtschaftsfragen spezialisierten Nachrichtenagentur Bloomberg vom 5. Oktober dieses Jahres zu einem dramatischen Abfall der geförderten Menge geführt haben soll. Das Motiv, das Beresowksi für seinen "Deal" mit Bassajew gehabt haben soll, liegt für Maschadow auf der Hand: Es sollte ein Motiv für einen neuen Tschetschenienkrieg und für die Unterstützung dieses Krieges durch die russische Bevölkerung geschaffen werden. Für Maschadows Spekulationen spricht weiter, daß Bassajew in das tschetschenienkritische Dagestan einmarschiert ist und nicht in Inguschetien, dessen Bewohner sogar dieselbe Sprache wie die Tschetschenen sprechen. Daß Maschadow Bassajew dennoch zum Oberkommandierenden ernannt hat, soll an der unnachgiebigen Härte der Russen gelegen haben, die Maschadow keine andere Option mehr ließ. (World Socialists Websites, 15. Oktober 1999) Die Regionalmacht Türkei soll gestärkt werden Die Amerikaner meinen aus den Unwägbarkeiten des konflikträchtigen Kaukasus ihre Lehre gezogen zu haben: Sie setzen auf eine multioptionale Pipeline-Strategie. Es ist deshalb so abwegig nicht, wenn die USA immer wieder darauf verweisen, daß ihre Politik in der Region nicht darauf hinausläuft, Rußland außen vor zu halten. Erklärtes Ziel der USA ist es aber, die traditionelle Hegemoniestellung Rußlands im Kaukasus zu brechen. Mehr und mehr zeigt sich aber, daß die Interessen der US-Regierung mit denen der beteiligten Ölfirmen nicht kompatibel sind. Daß selbst in Teilen der US-Regierung Skepsis herrscht, zeigt ein Bericht der New York Times vom 20. November dieses Jahres, der mit unmißverständlichen Worten eingeleitet wird: "Sowohl aus finanziellen als auch politischen Gründen ist das Abkommen über den Bau einer Pipeline, die das kaspische Öl quer durch die Türkei transportieren soll und das die US-Regierung als strategischen Sieg ansieht, nach Auffassung von Vertretern der (US-)Erdölindustrie und der US-Regierung realitätsfremd." Warum dieses Projekt "realitätsfremd" ist, wird so begründet: Für die beteiligten Erdölgesellschaften müsse die gewählte Pipelineroute gewinnbringend sein. Die US-Regierung verfolge jedoch zunächst strategische Optionen. Sie wolle durchsetzen, daß der Iran und Rußland ausgegrenzt würden und diesen keinerlei Einfluß mehr auf die Zufuhr neuer Energieangebote auf die westlichen Märkte gewährt werde. Darüber hinaus verfolge die US-Regierung das Ziel, eine Reihe von früheren Sowjetrepubliken an den Westen zu binden. Schließlich wolle die Regierung Clinton die Regionalmacht Türkei, einen wichtigen Nato-Alliierten, stärken. Es sei höchst fragwürdig, ob die Pipelineroute Baku-Ceyhan, die für die Clinton-Regierung strategisch verheißungsvoll, für die beteiligten Erdölformen aber sehr kostenintensiv sei, jemals profitabel arbeiten werde, stellt Jane Perlez in der New York Times fest. Bereits im Mai hatte die Weltbank nach Angaben von "Dow Jones Newswires" vom 10. Mai dieses Jahres einen Preis von 2,22 Dollar pro Faß Öl errechnet. Diese Pipeline wäre, sollte sie wirklich gebaut werden, damit die mit Abstand teuerste aller derzeit diskutierten Modelle. Nach Lage der Dinge bedarf es zudem des Erdöls aus Kasachstan und Turkmenistan, soll überhaupt hinreichend Erdöl zur Verfügung stehen. Genau deshalb hätte sich der in dieser Region führende Erdölriese BP Amoco für eine wesentlich kürzere Route starkgemacht. Vertreter des Unternehmens machten weiter deutlich, daß die ursprünglichen Schätzungen über die Erdölvorkommen des Kaspischen Meeres weit überhöht waren. Die Zahlen geben BP Amoco recht: Aserbaidschan fördert heute nach Angaben von Associated Press ca. 100.000 Faß Öl pro Tag. Das ist ein Zehntel von dem, was nach Auffassung von Experten vonnöten wäre, damit ein Projekt von einer derartigen Größenordnung wie die Pipeline von Baku nach Ceyhan kostendeckend arbeiten könne. Dazu komme, so Nanay weiter, daß es Milliarden von Dollar bedürfte, ehe die Infrastruktur Aserbaidschans so aufgebaut sei, daß die Erdölindustrie im Lande die Pipelines nutzen könne. Ungeachtet dessen erklärte die Pressestelle des Weißen Hauses in ihrem Hintergrundgespräch vom 18. November, daß die USA dem Pipeline-Projekt Baku-Ceyhan eine hohe Wertigkeit einräumten. Am Tag vor der Vertragsunterzeichnung sagte Präsident Clinton, daß die Pipelines zwar nicht oft die Schlagzeilen der US-Gazetten bestimmten. Die Wirkungen aber, die sie auf die Weltenergiemärkte hätten, die Wirkungen, die sie für die US-Energiepolitik hätten, und die Wirkungen, die sie für die regionale Sicherheit und die östliche Flanke Europas und der Nato hätten, wären von grundsätzlicher Bedeutung. Ginge es nach den beteiligten Ölfirmen, stünde eine Route durch den Iran an erster Stelle. Ein derartiges Projekt ist aber derzeit nicht durchsetzbar, weil sich die US-Regierung weigert, die ökonomischen Sanktionen gegenüber dem Iran aufzuheben. Zu alledem kommen die möglichen politischen Konflikte mit Rußland, das der Verlierer in diesem Geschäft ist. Die Russen haben bereits des öfteren durchblicken lassen, daß sie eine derartige Pipeline als eine Bedrohung ansähen. Alan Makowsky, ein Mitarbeiter am Washingtoner Institut für Politische Studien zum Nahen Osten, wies zum Beispiel darauf hin, daß Rußland die Aktivitäten Washingtons am Kaspischen Meer als Nato-Expansion an der russischen Südflanke bewerte. Rußlands Vorstellungen von den USA verhindert Rußland hatte vor der Unterzeichnung des Abkommens von Istanbul mehrere Versuche unternommen, das Projekt noch zu kippen. Es wurden hochrangige Regierungsvertreter nach Aserbaidschan geschickt, die die Aserbaidschaner davon zu überzeugen suchten, das bestehende Erdöltransportsystem durch Tschetschenien weiter zu unterstützen. Diese Mission schlug fehl, weil sich die Investoren weigerten, die Risiken für Projekte in einem Gebiet auf sich zu nehmen, in dem sich russische Truppen mit islamischen Terroristen herumschlügen. Die Amerikaner verwiesen darauf, daß sie seit 1997 immer wieder klargemacht hätten, daß sie die Route durch die Türkei favorisierten. |