© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Kroatien: Franjo Tudjman hat sich um sein Vaterland verdient gemacht
Der Tod des Patriarchen
Peter Lattas

Pathos lag in der Stimme von Parlamentspräsident Vlatko Pavletic, als er den Tod des Schöpfers des kroatischen Nationalstaats bekanntgab, der vergangene Woche in Agram seinem Magenkrebsleiden erlegen war. Unaufgeregter Pathos lag auch in den zahlreichen Abschiedsgrüßen, die Zehntausende Kroaten während der dreitägigen Staatstrauer in die Kondolenzbücher eintrugen: "Du hast uns die Ehre zurückgegeben" – "Danke für alles, was du für das kroatische Vaterland getan hast".

Kaum jemand in Kroatien versagt Tudjman diese Anerkennung für seine historischen Verdienste – auch wenn er gegen Ende seiner Herrschaft seinem Volk eher als despotischer Patriarch erschienen war denn als "Vater des Landes". Ohne ihn, das gestehen auch seine schärfsten Gegner zu, gäbe es den kroatischen Staat heute nicht. Es war eine Jahrhundertleistung, gegen den versammelten Widerstand der USA, der Mehrzahl der EU-Länder und Rußlands die Unabhängigkeit durchzusetzen. Franjo Tudjman hatte selbst lange vor diesem Wagnis gezaudert, war der Vorbereitung auf den unvermeidlichen Waffengang mit der gefürchteten "Jugoslawischen Volksarmee" ausgewichen und hatte noch nach einer Verhandlungslösung gesucht, als der von Belgrad geschürte bewaffnete Aufstand der Serben in Kroatien schon längst entbrannt war. Die Hoffnung, dem Krieg entgehen zu können, indem er sich mit Milosevic auf eine Teilung Bosniens verständigte, war sein größter strategischer Fehler. Als jedoch nach der Unabhängigkeitserklärung vom 25. Juni 1991 die Panzer der jugoslawischen Armee rollten, zeigte Tudjman Durchhaltewillen und Führungskraft. Die internationale Anerkennung Kroatiens im Winter 1991/92 war sein größter politischer Erfolg, die Wiedereroberung des serbisch besetzten Drittels des Staatsgebietes durch die Offensiven vom Mai und August 1995 sein größter militärischer Triumph.

Der autokratische Führungsstil verdunkelte jedoch in den Jahren danach sein Ansehen. Die ausufernde Günstlingswirtschaft, die Aufteilung der Staatswirtschaft unter Clanmitgliedern und Gefolgsleuten blockierte die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes. Willkürakte gegen oppositionelle Medien, die Bespitzelung der Opposition durch den von Sohn Miroslav geleiteten Geheimdienst stießen ebenso auf Unverständnis wie Tudjmans Glaube an die eigene Unfehlbarkeit und sein Verfolgungswahn, der hinter jedem Kritiker einen "Jugo-Nostalgiker" witterte. Am Ende waren die meisten Kroaten ihres Präsidenten überdrüssig.

Manchen Kritikern erschienen Tudjmans letzte Jahre wie die Wiederholung des Tito-Regimes. Doch Tudjmans Kroatien war niemals eine Balkan-Despotie, sondern eine westliche Demokratie, der gerade vom Westen wie keinem anderen Land bei der Befreiung vom Kommunismus Steine in den Weg gelegt wurden. Weil EU und USA in reaktionärer Arroganz Kroatien lange das Selbstbestimmungsrecht verweigerten und es wehrlos dem großserbischen Angriffskrieg überließen, mußte die junge Nation einen ungeheuren Zoll an Blut für ihre Unabhängigkeit zahlen.

Um so zynischer ist der Boykott des Staatsbegräbnisses durch die westlichen Staaten, die als Verhöhnung des ganzen Landes empfunden wurde. Daß auch die Bundesregierung diese Albernheit mitmachte und wie die USA und die übrigen EU-Staaten nur den Botschafter entsandte, ist eine Dummheit. Hans-Dietrich Genscher, dessen Vorreiterrolle bei der Anerkennung Kroatiens unvergessen ist, rettete die Ehre Deutschlands.

Die Denunziation Tudjmans als "Faschist" und "Antisemit" durch die serbische Propaganda im Vorfeld des Krieges zeitigt in der Verurteilung des "nationalistischen" Kurses des verstorbenen Präsidenten späte Wirkung. Dabei schloß sich Tudjman, der am 14. Mai 1922 in Veliko Trgovisce in der Landschaft Zagorje nördlich Agram geboren wurde, im Krieg den Tito-Partisanen an. 1961 nahm er als General seinen Abschied und wurde Leiter eines historischen Instituts. Tudjman fiel in Ungnade, weil er dagegen protestierte, das kroatische Volk durch eine konstruierte Kollektivschuld in der Ustascha-Zeit niederzuhalten. Tudjman veröffentlichte die Manipulation der Opferzahlen im Ustascha-Konzentrationslager Jasenovac, die von der Tito-Propaganda verzehnfacht worden waren. 1967 flog er aus der Partei und unterzeichnete die Resolution zur Verteidigung der kroatischen Sprache, die zum Ausgangspunkt der Nationalbewegung "Kroatischer Frühling" wurde. Nach dessen Niederschlagung 1971 wurde Tudjman wegen "nationalistischer Umtriebe" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber auf Intervention des prominenten Dichters Krleza frei.

Nach Aufhebung des Reiseverbots im Jahre 1987 knüpfte Tudjman intensive Kontakte zu kroatischen Emigranten in Europa und Nordamerika. Sie waren die Grundlage für den Erfolg seiner 1989 gegründeten Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), die im Frühjahr 1990 die Parlamentswahlen gewann. Die Einigung der Kroaten und die Überwindung der ideologischen Gegensätze zwischen den einstigen Bürgerkriegslagern wurde für Tudjman zum großen Ziel seiner Politik. Seine HDZ, mehr Bewegung als Partei, führte ehemalige Kommunisten und Dissidenten, Emigranten und Nationalisten zusammen. Mit dem Geld der Auslandskroaten wurde der Unabhängigkeitskampf finanziert. Nachdem die Söhne und Enkel von Partisanen und Ustascha in der kroatischen Armee gemeinsam für das neue Kroatien gekämpft haben, sei jetzt die Zeit für die Versöhnung der Gefallenen. Tudjmans großes Projekt eines gemeinsames Mausoleum für die gefallenen Kroaten aller Lager scheiterte jedoch. Auf lokaler Ebene ist die Ehrung aller Toten dagegen längst Wirklichkeit. In der öffentlichen Diskussion ist es nicht anstößig, wenn sich der einstige Ustascha ebenso zu seiner Vergangenheit bekennt wie der frühere Partisan. Vielleicht wird man diesen Beitrag zum inneren Frieden einmal als bedeutendes Erbe der Ära Tudjman erkennen.


 
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